Herrgottswinkel
mir vorwerfen können, ich würde vor den Problemen nur immer davonlaufen. Außerdem will ich Agnes und Eberhart nicht die Chance geben, einen Keil zwischen uns zu treiben. Ich hoffe, du wirst mir helfen, falls es wieder hart auf hart kommt.«
»Versuch doch einfach, sie so zu nehmen, wie sie sind. Du wirst sie nicht mehr ändern«, entgegnete er.
Für ihn war das Problem immer erst dann vorhanden, wenn er direkt damit konfrontiert wurde. Mir aber ging es ab dieser Zusage von Tag zu Tag schlechter, und kurz vor dem Besuch an Ostern hätte ich am liebsten irgendeine Ausrede erfunden, um nicht dabei sein zu müssen. Als der Nachmittag schließlich kam, war ich furchtbar nervös. Susanne hüpfte schon fertig angezogen ausgelassen hinter dem Haus auf und ab, während Franz mit Jonas das Auto aus der Garage holte. Und ich wurde wieder einmal nicht fertig. Gerade hatte ich Lukas angezogen, da stellte ich fest, dass er jetzt auch noch die Hose voll hatte.
Meine innere Angespanntheit übertrug sich wohl unwillkürlich auf die Kinder. Sie spürten, wenn es der Mutter nicht gut ging, dann ging es der ganzen Familie schlecht. Als ich Lukas endlich in seinen warmen Anzug gepackt, mir noch schnell meine Winterjacke übergeworfen hatte und schließlich auch im Auto saß, waren die beiden älteren Kinder schon wieder am Streiten. Ich schimpfte mit den beiden und bat sie, heute bei Onkel und Tante um Himmels willen lieb zu sein, da sonst der Osterhase kein Geschenk für sie bringen würde.
Vor der Haustür angekommen, läutete Jonas auch schon Sturm. Eberhart öffnete, und nun begann im Flur die Prozedur des Ausziehens. Agnes jammerte, dass die Kinder so viel Dreck hereingetragen hatten, und fing sogleich an, diese ›Mitbringsel‹ zusammenzufegen.
Endlich saßen wir alle im Wohnzimmer und aßen bunte Schokoladeneier. Agnes hatte furchtbare Angst, dass eines der Kinder irgendwo mit schwarzen Schokoladenfingern einen klebrigen Abdruck hinterlassen könnte. Also wurden die Finger der Kleinen ständig mit einem feuchten Tuch und anschließend mit einer Papierserviette sauber geputzt. Und der Mund durfte natürlich auch nicht vergessen werden. Jonas turnte dabei auf der neuen Couch herum und schlug Purzelbäume, sodass die Sofakissen auf den Boden fielen, während Agnes unermüdlich damit beschäftigt war, die Kissen wieder aufzuschütteln und an ihren richtigen Ort zurückzubefördern. Da stieß sich Lukas den Kopf an der Ecke des Esstisches an. Sofort fing er lauthals an zu weinen.
Mein Mann und sein Bruder unterhielten sich unbeirrt über anstehende Arbeiten, die im Frühjahr am Haus in Angriff genommen werden sollten. Meine Nerven lagen ziemlich blank. Wie gern wäre ich einmal mit Franz allein gewesen! Eine Kreuzfahrt oder Hawaii musste es ja gar nicht sein. Mal wieder eine Bergtour machen, auf einer Hütte übernachten, so wie zu der Zeit, als wir uns kennengelernt hatten. Meine Güte waren wir da jung gewesen! Halbe Kinder noch.
Ich nahm den weinenden und müden Lukas auf den Arm und tröstete ihn. Schluchzend legte er seine kleinen Hände um meinen Hals und drückte sich ganz fest mit seinem Kopf an meine Brust. Dabei fiel mein Blick auf ein dunkelblau gerahmtes Foto, das im Wohnzimmerregal stand. Es zeigte Agnes und Eberhart an eine Palme gelehnt, während türkisblaues Wasser ihre nackten Füße umspülte. Ich nahm das Bild in die Hand und fragte Agnes, wo das Foto denn aufgenommen sei. Sie schaute mich hochmütig und etwas verlegen an, dann erzählte sie, dieses Foto stamme aus Hawaii, wo sie im vergangenen Sommer Urlaub gemacht hätten. »Deswegen konnten Eberhart und ich euch doch letzten Sommer nicht bei eurem Hausbau helfen, da wir die Reise schon fest gebucht hatten.«
Ich zeigte Franz das Foto und sagte leise: »Schau, das wünsche ich mir auch einmal, mit dir ganz allein an so einem schönen Sandstrand zu sein.«
Da fing Eberhart an, mich ohne ersichtlichen Grund zu beschimpfen. »Des ka i mer denka, du Matz! D’Kinder alloi lassa, damit ma kommod nuie macha ka, des war ja scho immer mehr dei Sach«, hörte ich ihn mit sich überschlagender Stimme schreien.
Mit zitternder Hand stellte ich das Bild an seinen Platz zurück. Ohne ein weiteres Wort stürmte ich in den Flur, schlüpfte in meine Schuhe und zog heftig schluchzend meinem Lukas seinen Overall und seine Mütze an. Dann lief ich mit klopfendem Herzen ohne Jacke in die Kälte hinaus. In meinem Kopf drehte sich alles. Immer wieder diese wüsten
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