Herrgottswinkel
– und ein unsanfter Schlag in seine Magengrube –, belehrten ihn eines Besseren. Beleidigt und leicht schwankend trat er den Rückzug an.
Am nächsten Tag waren die Berge wolkenverhangen, und wir entschieden uns, nach Kursende ins Tal zu marschieren. Mit unseren Bergschuhen schlitterten wir über die letzten Schneefelder des vergangenen Winters und lieferten uns wilde Schneeballschlachten. Ich versuchte natürlich stets, nur Franz zu treffen, bekam aber viel mehr Treffer ab, da ich neben seinen Würfen auch noch den Schneebällen ausweichen musste, die Eberhart auf mich abfeuerte. Schon am nächsten Wochenende sollte ich die beiden wieder treffen. In Rubi tauschten wir unsere Telefonnummern aus und verspeisten das erste Eis des Jahres zusammen. Nach dem nächtlichen Vorfall auf der Hütte hätte ich auf Eberharts Anwesenheit durchaus verzichten können, aber Franz’ Nähe war nur zu haben, wenn ich seinen Bruder mit in Kauf nahm. Und das war mir das Zusammensein mit Franz allemal wert!
Die Liebe zu den Bergen hatte uns zusammengebracht, und schon nach diesem ersten Wochenende am Nebelhorn verabredeten wir gemeinsame Klettertouren. Ich musste jedoch feststellen, dass Eberhart jedes Mal bestimmen wollte, wo es hinging, wo übernachtet wurde, wann Pausen gemacht wurden und Ähnliches. Er hatte den Überblick, die Erfahrung und als Ältester natürlich auch die Verantwortung – das war zumindest seine Überzeugung. Mich dagegen begann seine Gockelhaftigkeit immer stärker zu stören.
»Was meinst du«, fragte ich Franz beim Abschiednehmen nach der dritten Tour, als wir einen Moment lang allein waren, »könnten nicht auch einmal nur wir beide zusammen in die Berge gehen, ohne deinen Bruder?«
»Wenn du möchtest, können wir das gleich am kommenden Wochenende in die Tat umsetzen, denn Eberhart trifft sich seit Kurzem wieder mit seiner langjährigen Freundin – da scheint sich wohl was anzubahnen, zumindest tut er seit einiger Zeit so geheimnisvoll.«
Ich hätte vor Freude fast einen Luftsprung gemacht. Endlich ein ganzes Wochenende allein mit Franz! Und endlich würde ich den Nachstellungen von Eberhart entkommen, der jede Bergtour dazu genutzt hatte, mich, wo es nur ging, zu begrapschen, obwohl ich ihn schon mehrmals zurechtgewiesen hatte, dass mir an ihm nichts lag. Natürlich nur, wenn Franz es nicht hören konnte, denn ich wollte Eberhart ja nicht vor seinem kleinen Bruder bloßstellen, der ihn so zu verehren schien. Und eventuell war ich nun sogar dauerhaft von Eberharts Annäherungsversuchen erlöst, da er jemand anders hatte. Ich freute mich für ihn und noch viel mehr auf das kommende Wochenende mit Franz.
Wir gingen auf die Fuchskar, und als der Erfahrenere von uns beiden kletterte Franz vor und sicherte, während ich bei ihm am Seil hing. Mehr noch als sein Können bewunderte ich seine Zuverlässigkeit und seine leise, aber selbstsichere Art, nicht nur in den Bergen. Von Wochenende zu Wochenende schenkte ich ihm mehr Vertrauen, und aus dem Vertrauen entstand Liebe, eine tiefe Liebe, die weit über das anfängliche Verliebtsein hinausging. Ich war mir sicher, das war der Mann, auf den ich immer gewartet hatte. Nach den Touren saßen wir meist mit Freunden auf einer Berghütte zusammen oder wir gingen zum Tanzen in die Laterndlalm im Tannheimer Tal. »Weißt du eigentlich, dass du mit dem Franz gleich einen doppelten Sechser im Lotto gewonnen hast«, meinte bei einem dieser Hüttenabende eine meiner Freundinnen. »Ich werde ihn auch nie mehr hergeben, mach dir also keine Hoffnungen«, erwiderte ich lachend. Ich wusste schon, wie gut es das Schicksal am Nebelhorn mit mir gemeint hatte.
Inzwischen trafen wir uns fast jeden Tag, denn die Wochenenden gingen uns beiden viel zu schnell vorüber, und bald schon planten wir unseren ersten gemeinsamen Urlaub. Wir wollten zusammen den Heilbronner Weg gehen, eine der schönsten Touren, die ich kenne – und wir wollten uns dabei Zeit lassen, nicht nur von Gipfel zu Gipfel rasen. Das sollten die tun, die hinterher unbedingt etwas zum ›Stenzen‹ brauchten, Franz und mir ging es um unser Zusammensein in den Bergen, nicht um Rekorde.
Eberhart hatte ich während dieser Zeit immer nur zufällig mit Franz zusammen gesehen, er war wohl sehr mit Agnes, wie seine ›Flamme‹ hieß, beschäftigt, und wenn wir uns trafen, war er mir gegenüber jetzt äußerst kühl und zugeknöpft. Mich wunderte, dass mir Eberhart seine Freundin gar nicht vorstellte, und als ich Franz
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