Herrgottswinkel
keine. Sie erlebte eine unbeschwerte Kindheit, abgöttisch geliebt von ihren Onkeln Rumpler und Bumpler, die sich, obwohl in ihrer Art sonst eher unbeholfen, rührend um Johanna kümmerten. Einer war immer da, um sie herumzutragen oder zu trösten, wenn sie quengelte oder weinte. Jeder Wunsch wurde ihr von den Augen abgelesen.
Spielsachen aus Holz, die ihr die beiden Onkel an den langen, dunklen Winterabenden schnitzten und die eher zu einem Buben gepasst hätten als zu einem Mädchen, hatte sie auch mehr als genug. Da war ein Holzschaukelpferd, weiß bemalt und mit vielen schwarzen Flecken, auf das sie sich setzen konnte. Es hatte einen echten Schweif und eine Mähne aus dunklen Rosshaaren, außerdem ein ledernes Pferdehalfter und einen kleinen hellbraunen Sattel. Johanna schaukelte manchmal mit ihrem Pferdchen so wild in der Stube, dass man Angst haben musste, sie würde jeden Moment mitsamt ihrem Schimmel umfallen. Da gab es viele geschnitzte braune und schwarzweiß gefleckte Kühe. Einen kleinen Holzschubkarren, in dem Johanna Heu in der Stube herumfahren und dann an ihre Holzkühe und ihr Pferdchen verfüttern durfte. Einen kleinen Rechen und eine Schaufel, sogar eine kleine hölzerne Mistgabel hatte sie. Wenn sie einen Wunsch hatte, dann wurde dieser von ihren Onkeln erfüllt, so gut es eben ging. Da war es kein Wunder, dass oft Kinder aus der Nachbarschaft bei ihr zum Spielen waren, und sie sogar manchmal ein bisschen beneidet wurde, weil sie in den Augen ihrer kleinen Freunde alles hatte.
»Du musst nur einmal mit dem Finger schnippen und schon hast du, was du willst«, schimpfte manchmal die Mutter mit ihr. »Im Leben kann man nicht alles haben und als Frau schon gleich gar nicht. Je früher du das einsiehst, desto leichter fällt dir später einmal der Verzicht.« Dabei sprach sie mit ernster Stimme und schaute Johanna streng an. Aber die Kleine wollte davon nichts wissen, wich dem Blick der Mutter aus und schaute stur in eine Ecke oder zum Fenster hinaus. »Wer nicht hören will, muss fühlen, mein liebes Kind!« Mit solchen und ähnlichen Mahnungen versuchte die Berganna, ihre Tochter auf die Widrigkeiten des Lebens vorzubereiten.
Johanna schlief grundsätzlich bei ihrer Mutter im Bett und wenn sie am anderen Morgen doch einmal in ihrem Bettchen aufwachte, dann schaute sie nur trotzig auf den Boden und sprach bis zum Mittag mit niemandem mehr ein Wort, so beleidigt konnte sie sein. Die Bindung zu ihrer Mutter war sehr eng. Das war auch kein Wunder, wurde sie doch mit über vier Jahren nachts noch gestillt.
Im Sommer durfte sie stets mit ihrer Mutter auf die Alpe. Obwohl dort oben andere Sitten als zu Hause herrschten, freute sich Johanna jedes Jahr auf diese wundervollen Wochen allein mit ihrer Mutter. Zwar hatte diese auf der Alpe sehr viel zu tun und wenig Zeit für Johanna, doch das machte dem Mädchen nichts weiter aus. Johanna war den ganzen Tag draußen und spielte mit ihren geschnitzten Holztieren im nahe gelegenen Wald.
Sie war zierlich, konnte so viel essen, wie sie wollte. »Du nimmst einfach nicht zu und wirst immer eine dürre Geiß bleiben«, sagte die Mutter einmal zu ihr, als sie Johanna in einer blechernen Wanne badete. »Du bist wie dein Vater, der war auch immer in Bewegung. Na, und den eigenen Kopf, den hast du ganz sicher ebenfalls von ihm«, fügte sie hinzu, während sie ihrem Kind die langen glatten Haare bürstete, und der kleine Treibauf wieder einmal gar nicht stillhalten wollte.
Johanna war ein flinkes, aufgewecktes und in ihrer Art ein unkompliziertes und natürliches Kind. Sie hatte lange schwarze Zöpfe und große dunkelbraune Augen. Immer war sie nett gekleidet und entwickelte schon früh eine gewisse Eitelkeit. Ihre Mutter konnte geschickt mit Nadel und Faden umgehen und freute sich, wenn sie ihre Tochter mit einer Schleife im Haar oder einer Schürze herausputzen konnte.
Dann waren eines Tages ihre beiden Onkel kurz hinter einander gestorben, was für das kleine Mädchen nicht einfach zu verstehen war. Rumpler und Bumpler waren für sie allgegenwärtig gewesen. Johanna konnte sich ein Leben ohne die beiden gar nicht vorstellen. Plötzlich sollten sie nicht mehr da sein. Johanna ging oft in das obere Zimmer, wo die Onkel gemeinsam gehaust hatten, doch es war und blieb leer. Außer einem Schrank, zwei Betten und einem Tisch mit zwei Stühlen war darin nichts mehr von den beiden geblieben.
Lange schon, ganz besonders aber nach dem Tod von Rumpler und Bumpler,
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