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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Ziegler
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einmal fragte, wie er denn die Freundin seines Bruders fände, gestand er mir, eine Einladung von Eberhart an mich, Agnes kennenzulernen, nicht ausgerichtet zu haben. Franz spürte sicherlich schon damals, dass wir nicht miteinander harmonieren würden. Und so war es dann auch, als wir zum ersten Mal zusammenkamen. Eberhart hatte das Treffen in einem Café arrangiert, und irgendwie empfand ich das Ganze von Anfang an als sehr steif und förmlich. Doch schlimmer war noch, dass ich mir während des Treffens mit Agnes vorkam, als würde ich von der Lehrerin ausgefragt: Ausbildung und Berufswunsch? Immer schien ich die falschen Antworten zu geben, für sie war ich ein ›Bürofräulein‹, wie sie sich herablassend ausdrückte. Haushalt und Kochen? Immer war sie es, die wusste, wo man billiger einkauft, was das beste Waschmittel ist und wie Krautkrapfen am besten zubereitet werden. Dazu kannte natürlich sie die wichtigeren Leute, die besseren Läden und die angesagteren Kneipen. Kurzum, ich war neben ihr ein kleines Licht, mir fehlte ihre ›Klasse‹ und so ziemlich jedes ›Niveau‹. Es war ein unerfreuliches Treffen vom ersten Blickkontakt an bis zur förmlichen Verabschiedung.
    An unserem ersten gemeinsamen Silvester zu viert wollten wir nach Oberjoch, um auf ihren Wunsch hin in einem Nobelhotel zu feiern. Wir hatten uns festlich angezogen, doch hatte es an diesem Spätnachmittag dermaßen geschneit, dass wir mit dem Auto den Pass von Hindelang aus nicht hochkamen. Wir drehten um, und Franz und ich planten einen romantischen Schneespaziergang zu zweit. Zuerst zog ich mir zu Hause bequemere Sachen an, dann fuhren wir zu Franz, damit auch er sich umziehen konnte. Da verlangten Agnes und Eberhart plötzlich, dass bei ihnen gefeiert wurde. Als ich es wagte, meine Vorliebe für den Spaziergang mit Franz kundzutun, endete das Jahr im Streit: »Du lässt dir von ihr wohl alles vorschreiben?«, »Was hat sie nur aus dir gemacht« und »Die hat doch nur einen schlechten Einfluss auf dich« – das waren noch die harmloseren Vorwürfe, denen ich mich ausgesetzt sah.
    Als wir den beiden dann eines Tages von unserem Plan erzählten, zusammenzuziehen, schoss Agnes den ersten richtigen Giftpfeil auf mich ab, dem noch so viele folgen sollten. »Mit der wirst du dich noch umschauen«, sagte sie schnippisch zu Franz.
    Aber was sie auch sagte, wir hielten zusammen. Wir schwammen gegen den Strom.

MIT DIESER EINSICHT SCHLIEF ICH SCHLIESSLICH, EIN wenig beruhigt, ein. In den kommenden Wochen verlangte der Alltag meine ganze Aufmerksamkeit, und Franz stürzte sich dermaßen in Arbeit, dass ich mich schon fragte, ob ihm der berufliche Stress gelegen käme, um mir aus dem Weg gehen zu können. Erst vor einem halben Jahr hatten wir unser Reihenhaus bezogen. Es war noch immer eher als Baustelle zu bezeichnen denn als Wohnstätte. Nichts war fertig! Und dazu ständig das ganz normale Kinderchaos, natürlich weit und breit nichts von einer Hilfe oder gar Entlastung zu sehen. Kein Urlaub seit sechs Jahren, nur Arbeit und rund um die Uhr die Kinder. An geregelter Nachtruhe mangelte es, seit Moses das Meer geteilt hatte, und seit Kurzem war auch noch die Neurodermitis bei unserem Jüngsten dazugekommen, eine Unverträglichkeit bestimmter Nahrungsmittel, wie mir der Kinderarzt erklärte.
    In der ganzen Zeit hatten Agnes und Eberhart nie angeboten, sich auch nur einmal um unsere Kinder zu kümmern. Stattdessen schien es ihnen wichtiger zu sein, alle sechs Monate auf Fernreise zu gehen. Sie gingen auf Kreuzfahrt, während wir unseren Jahresurlaub mit den Dachdeckern verbrachten, sie machten Helikopterskiing in Kanada, während ich mich in den letzten Schwangerschaftswochen vor Lukas’ Geburt kaum um den Haushalt kümmern konnte, und sie fuhren zum Surfurlaub nach Hawaii, als Franz und ich unseren Garten anlegten.
    Trotzdem, ganz unglücklich war ich im Augenblick über diese Situation nicht, so lief unser Leben wenigstens ohne große Auseinandersetzungen ab, und ich konnte wieder etwas zur Ruhe kommen. Ich versuchte die Entscheidung, ob ich wieder mit zu Franz’ Bruder gehen sollte, vor mir herzuschieben, doch der Tag des Besuches rückte näher und näher. Schließlich stellte Franz dann die Frage, auf die ich schon lange gewartet hatte: »Gehst du nun mit zu Eberharts Geburtstag oder bleibst du lieber zu Hause?«
    »Ich komme mit, deinetwegen. Und weil wir eine Familie sind! Ich weiß zwar nicht, wie ich das durchstehen soll, aber niemand soll

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