Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Ziegler
Vom Netzwerk:
die Familie Besler zu besuchen, zu der sie nie den Kontakt verloren hatte. Voller Mutterstolz präsentierte sie ihre drei Lausbuben, als draußen plötzlich das Wetter umschlug. Dunkle Wolken zogen über der Hörnerkette auf, und bald durchfuhren Blitze und Donnergrollen den blauschwarzen Himmel. Johanna musste sich mit ihren Kindern umgehend auf den Rückweg machen, denn das Gewitter machte nicht den Eindruck, als würde es schnell vorüberziehen. Zwar erblickten sie ihr Zuhause, noch bevor der erste Tropfen gefallen war, doch zum Erschrecken der Kinder rannte ihre Mutter mit einem Mal schreiend den Hang hinunter.
    »Maria und Josef steh uns bei«, rief sie entsetzt. »Der Blitz hat eingeschlagen!«
    Dann lief sie weiter querfeldein auf den Hof zu, von dessen Rückseite bereits Rauchwolken aufstiegen. Jetzt sah sie auch die Nachbarn, die mit großen Eimern herbeieilten, um beim Löschen zu helfen. Staunend lehnte sich Engelbert aus einem der Fenster im ersten Stock und konnte sich auf den ganzen Trubel noch keinen Reim machen. Nun hatte auch der Regen eingesetzt, der sich zu einem Guss steigerte, als der Himmel alle Schleusen öffnete.
    Johanna lief immer noch schreiend und wild gestikulierend um die Hausecke, als die Flammen schon meterhoch aus der Tenne schlugen. Nass bis auf die Haut und mit ins Gesicht hängenden Haaren erblickte sie ihren Mann, der seelenruhig vom Fenster aus das Gewitter beobachtete.
    »Schnell, es brennt!«, rief sie zu ihm hoch.
    Mit einem Satz war Engelbert verschwunden.
    Johanna war schon in den Stall geeilt und jagte Schweine und Kühe ins Freie, wo sich inzwischen eine lange Menschenkette gebildet hatte, die mit Wasser gefüllte Eimer zum Brandherd weiterreichte. Der Letzte in der Schlange schüttete das Wasser in die Flammen, rannte dann mit dem leeren Gefäß zum Brunnen, füllte es wieder und reihte sich am Beginn der Schlange erneut ein.
    Engelbert war unfähig, irgendetwas zu sagen, geschweige denn zu tun. Vor dem Haus stand er mit zwei Kindern im Arm nur da und sah zu, wie sein Hof abbrannte. Johanna hingegen rannte geistesgegenwärtig ins Haus und warf alles aus den Fenstern, was ihr in den Zimmern und in der Küche gerade in die Finger kam.
    Bis auf diese wenigen Gegenstände hatten sie nichts mehr, als vom gesamten Anwesen nur noch die Grundmauern standen. Kein Dach über dem Kopf und eine Schar von Kindern. Schlimmer hätte es nicht kommen können.
    Am Abend brachten Johanna und Engelbert die Kinder auf die Alpe Rangiswang. Sie würden erst einmal bei ihrer Mutter Anna bleiben, bis eine Lösung gefunden war. Johanna musste die Kinder für längere Zeit zurücklassen, so schwer ihr das auch fiel. Aber Zeit hätte sie während der nächsten Monate sowieso nicht für sie gehabt. Der Hof musste so schnell wie möglich wieder aufgebaut werden, denn schon in wenigen Monaten würde der Winter hereinbrechen. Johanna und Engelbert arbeiteten Tag und Nacht, und da auch seine Brüder jeden Tag tatkräftig mit anpackten, schafften sie es gemeinsam, nach nur zwei Monaten Bauzeit ein Bauernhaus samt Stall und Tenne aus dem Boden zu stampfen. Die Mauern hatten keine Zeit, richtig auszutrocknen, da das Haus viel zu früh bezogen und bewohnt wurde, und für den Verputz war kein Geld mehr da. Doch damit konnte man ja auch bis nächstes Jahr warten, meinte Engelbert, der auf solche Äußerlichkeiten keinen besonderen Wert legte.
    Johanna war da anderer Meinung, aber sie stieß auf taube Ohren, da konnte sie auf ihn einreden, so viel sie wollte. Trotzdem ließ sie nicht locker, sie hatte sich vorgenommen, das Haus müsse vor dem Winter verputzt sein, und so fing sie immer wieder davon an.
    »Wenn es dir nicht passt«, erwiderte er ihr in aller Deutlichkeit, »dann kannst du ja gehen.«
    Daraufhin hielt sich Johanna zurück. Einen weiteren Streit wollte sie nicht riskieren. Schließlich war dies der erste Streit in ihrer Ehe gewesen.
    Auch in dem neuen Heim nahm der Kindersegen kein Ende. Johanna stillte jedes ihrer Kinder ein Jahr lang. Kaum hatte sie aufgehört zu stillen, kam innerhalb von drei bis sechs Monaten schon das nächste Kind. Im Rhythmus von Schwangerschaft und Stillzeit verging Jahr um Jahr. Einen Tag vor ihrem neunzehnten Hochzeitstag brachte Johanna ihr dreizehntes Kind, einen Buben, zur Welt. Er war seinem Vater nicht nur wie aus dem Gesicht geschnitten, auch in seiner hilfsbereiten, geradlinigen Art glich er Engelbert sehr. Johanna und ihr Mann wussten, dass dies ihr letztes Kind

Weitere Kostenlose Bücher