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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Ziegler
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Beim Abschied lagen sie sich lange in den Armen, es brauchte keine Tränen, denn jede von ihnen wusste, wie sehr die andere sie liebte. Sie konnten sich trennen, weil sie nie wirklich getrennt sein würden, sie konnten einander allein lassen, weil sie immer zusammen sein würden. Dies war kein Abschied, sie betraten nur einen neuen Weg – miteinander.
    Einige Tage später bekam Johanna die Nachricht, dass ihre Mutter am Morgen tot in ihrem Bett aufgefunden worden sei. Erst jetzt konnte sie die Tränen vergießen, die ganz tief aus ihrem Herzen kamen. Sie weinte tagelang, die Leere in ihr dauerte Wochen, die Trauer verließ sie nie mehr. Ihr wurde bewusst, dass sie ihrer Mutter die letzte Beichte abgenommen hatte. Als man ihren Sarg in die Erde senkte, musste Johanna daran denken, wie wenig die Berganna zeitlebens von der Kirche gehalten hatte, obwohl sie ihr Nachtgebet nie vergaß. Sie erinnerte sich noch genau an die Worte ihrer Mutter: »Wichtig ist, dass man Gott im Herzen hat und richtig lebt. Heuchler gibt es genug, Kirchen scheinen sie geradezu anzuziehen. Deswegen kommt Gott auch lieber zu denen, die ehrlichen Herzens woanders nach ihm suchen.«
    Sie hat wirklich ihren eigenen Kopf gehabt, dachte Johanna und ging still vor sich hin lächelnd die Friedhofsmauer entlang dem Ausgang zu.
    Kaum war ihre Mutter unter der Erde, erfuhr Johanna von ihrer ältesten Tochter Anna, dass sie schwanger war. Der Vater des Kindes war nicht nur verheiratet, er hatte bereits zwei schulpflichtige Buben. Gemeinsam gelang es Johanna und Anna, die Schwangerschaft geheim zu halten und Engelbert erst davon in Kenntnis zu setzen, als er auf der Alpe Gschwend war. Zu Hause hätte er wahrscheinlich alles kurz und klein geschlagen. Als er im Herbst wieder von der Alpe herunterkam, hatte er sich immer noch nicht beruhigt, und obwohl Anna wie auch Johanna ihn anflehten, das Kind in seinem Haushalt aufzunehmen, sorgte er dafür, dass das uneheliche Balg, wie er es nannte, sofort nach der Geburt in eine Pflegefamilie kam. Für Anna wendete sich das Blatt dann doch noch unerwartet schnell. Sie lernte einen neuen Mann kennen, heiratete und bekam bald ihre erste Tochter, Erika.
    Wenn sich nur auch auf der großen Weltbühne das Schicksal so zum Besseren gewendet hätte! Ein Anstreicher aus Österreich hatte zuerst München erobert, danach in Deutschland die Macht übernommen und nun schickte er sich an, seine Hand nach der ganzen Welt auszustrecken. Banken, Wirtschaftslenker, die Presse, ja selbst die Kirche waren auf seiner Seite, denn er versprach, dass sie es alle besser haben sollten. Es war schwierig, gegen ihn zu sein, waren doch fast alle für ihn! Und man munkelte auch, es sei lebensgefährlich, gegen ihn oder seine Parteigänger Stellung zu beziehen. Henne, der beste Freund von Johannas Vater, war abgeholt worden, und keiner wusste, wohin man ihn geschafft hatte.
    Abgeholt worden war auch Johannas jüngster Sohn Albert, von einem Feldwebel, der ihm eine Uniform für den Dienst am Vaterland verpasst und ihn dann in einem Gefährt, das knatterte und wie die Pest stank, zu den Feldjägern in die Füssener Kaserne gebracht hatte. Johanna weigerte sich, mit den anderen aus dem Dorf nach Sonthofen zu fahren, um diesem Anstreicher bei seiner Stippvisite zuzujubeln, einem wahn sinnigen Schreihals, der unschuldige Kinder in den Krieg schickte!
    Vielleicht hatten sie noch einmal Glück, Max war ja auch wohlbehalten wieder aus Lindau zurückgekommen, vor vielen Jahren, bei einem anderen Krieg, angefangen von anderen Wahnsinnigen. Aber geschrien und gejubelt hatten auch damals alle.
    »Ich habe meine Söhne doch nicht unter Schmerzen geboren, dass sie jetzt im Feld sterben müssen«, schimpfte sie, denn inzwischen war auch ihr drittletzter Sohn Anton abgeholt worden.
    »Nicht so laut, die Leute reden schon über dich und deine Ansichten«, meinte Engelbert, bei dem sie nicht mehr genau sagen konnte, ob er tatsächlich stolz auf seine Söhne war oder nur so tat, weil er Angst vor der Geheimpolizei hatte, die es jetzt selbst in Westerhofen gab.
    Im November würde Anna ihr drittes Kind bekommen und Johanna hoffte, die Geburt würde diesmal einfacher als die beiden vorangegangenen sein. Und hoffentlich würde es der jungen Familie bald finanziell besser gehen. Oft gab Johanna ihrer Tochter – heimlich, weil Anna sich schämte – eine Schüssel mit Milch, ein Stück Käse oder eine Ecke Butter, und jede Nacht hörte Johanna die Nähmaschine ihrer

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