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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Ziegler
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verkniffen.
    Johannas Freude über das Fest hielt sich in Grenzen. Sie mochte keinen Trubel mehr, sie hätte es selbst an diesem Tag vorgezogen, alleine zu sein und in Ruhe gelassen zu werden, ihr Bedürfnis nach Geselligkeit und nach neuen Erlebnissen war mehr als gestillt, es war erloschen.
    Ganz anders Engelbert. Auf diesem Fest konnte er zeigen, dass er der Herr im Haus war, der Patriarch, der dreizehn Kinder gezeugt und ernährt hatte. Seine Kinder und Kindeskinder waren wichtige Leute in diesem Landstrich, seine Saat war aufgegangen. Er stolzierte von Tisch zu Tisch, ließ sich von allen hofieren und kostete eine Wichtigkeit aus, die er bei seiner Frau seit langem nicht mehr hatte.
    Johanna aber hockte still vor ihrer Tasse Milchkaffee, nahm kaum Notiz von ihrer großen Familie und den zahl reichen Gästen. Ihr Blick war leer und nach innen gerichtet, seit den Schicksalsschlägen und Todesmeldungen war die Trauer nicht mehr aus ihr gewichen. Karolina, Albert, Anton, Sophie – schon einer wäre schlimm gewesen, vier hatten jeg lichen Lebensmut und alle Freude aus ihr vertrieben. Als junge Frau hatte sie sich immer einen großen, starken Mann gewünscht, an dessen Schultern sie sich lehnen konnte. Der mit ihr lachte, wenn sie glücklich war, der mit ihr traurig war und sie tröstete, wenn schlechte Zeiten kamen.
    Aber in den schlechten Zeiten hatte jeder für sich getrauert. Johanna hatte sich tagelang ins Schlafzimmer zurückgezogen, Engelbert war im Stall verschwunden. Er war seinen Weg gegangen, sie den ihren. Als sie Engelberts Hilfe, seinen Trost, seine Schulter gebraucht hätte, war er wortlos aus dem Zimmer geschlichen und oft hatte ihn tagelang keiner zu Gesicht bekommen. Hatte er sie strafen wollen? Machte er sie für dieses Leid verantwortlich? Ja, sie war es gewesen, die die vielen Kinder wollte. Kaum war eines geboren, wurde schon das nächste von ihr geplant. Was man nicht hat und nie besessen hat, kann man auch nicht verlieren, hatte er einmal zu ihr gesagt. Hätte sie ihm nicht so viele Kinder geschenkt, wäre der Schmerz nicht gewesen, wenn sie ihnen wieder genommen wurden.
    »Aber keine Kinder zu haben heißt nicht nur, kein Leid zu erfahren, es heißt auch, keine Freude zu erfahren, Engelbert«, hatte sie ihm erwidert. Ob er das eingesehen hatte, wusste sie nicht. Sie hatte keine Ahnung, was in ihrem Mann vor sich gehen mochte. Ihr halfen die schönen Dinge irgendwann über die vielen Tiefen der letzten Jahre hinweg, sie begann, das Leben als ein Ganzes zu sehen. Ohne Tiefen waren Höhen gar nicht möglich, ein trostloses, ein leeres, ein totes Leben wäre das gewesen – nie unglücklich, aber deswegen auch nie wirklich glücklich!
    Und doch, was war ihr im Alter geblieben, nachdem Engelbert sich so weit von ihr entfernt hatte und sie beim Thema Kinder nur noch an Verlust und Tod denken konnte? War sie nicht jetzt wieder einsam und allein, nicht anders als einst, als sie noch ein Kind war und sich nichts sehnlicher gewünscht hatte als ein Geschwisterchen? Was hatte ihr die große Familie gebracht, wozu all die Schmerzen, die Sorgen, das Leid durch die vielen Kinder, wenn sie einem die Einsamkeit nicht nehmen konnten? Wenn sie einen nur müde am Leben machten, todmüde?
    Johannas Kräfte gingen langsam zu Ende, sie sperrte sich immer mehr in ihrem Inneren ein und auch ihr Körper machte nicht mehr richtig mit. Halbseitig gelähmt nach einem schweren Schlaganfall, wollte sie niemandem zur Last fallen und verließ ihr Zimmer nicht einmal mehr zu den Mahlzeiten.
    Manchmal, wenn sie die Umgebung für gewisse Zeit wieder in ihr Bewusstsein dringen ließ, sah sie Engelbert am Bettrand sitzen. Er hielt wortlos ihre Hand und sah sie nur an.
    »Schön, dass du da bist«, sagte sie in einem dieser raren Momente zu ihm.
    »Wir hätten miteinander reden sollen, als noch Zeit dafür war.« Er wusste nicht recht, wie er nach so langer Sprach losigkeit zwischen ihnen eine Unterhaltung in Gang bringen sollte.
    »War ich dir eine gute Frau?« Sie musste sich augenscheinlich überwinden, ihm eine solche Frage zu stellen.
    »Du warst die beste Mutter, die ich mir für meine Kinder vorstellen konnte«, antwortete er zweideutig.
    »Und du? Was ist mit dir? Hast du mit mir das Leben gehabt, das du haben wolltest?«
    »Du weißt, wie wichtig mir Vertrauen und Verlässlichkeit sind, nach dem, was ich als Kind erleben musste. Beides hast du mir gegeben, ich habe dir immer blind vertrauen können.«
    Er schien ihr

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