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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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Ereignisse des vergangenen Tages, aber ohne emotionelle Obertöne von Erregung oder Angst.
    Das Sternbild des Orion hatte sich vor das Fenster geschoben und sagte ihm, dass es bald dämmern würde. Seine neun hellsten Sterne gaben ihm das Aussehen einer kantigen, leicht geneigten Eieruhr.
    Er machte sich rasch eine kleine Tasse Kaffee mit Wasser aus der Warmwasserleitung, zog seinen Morgenmantel über, stieg in ein Paar Sandalen, nahm das Fernglas vom Schreibtisch und stieg aufs Dach. Alle seine Sinne waren wach und geschärft. Die schwarz überstrichenen Fenster der Luftschächte und die schwarzen drückerlosen Türen der ehemaligen Besenschränke waren genauso auffallend wie die Türen der benutzten Räume und das alte, häufig gestrichene Treppengeländer, das seine Hand berührte, als er die Treppen hinaufstieg.
    In dem kleinen, kubischen Raum auf dem Dach fiel der Schein seiner kleinen Taschenlampe auf glänzende Kabel, auf den dunklen, fast quadratisch wirkenden Elektromotor und die kleinen, reglosen Gußeisenarme der Relais, die zu zuckendem, geräuschvollem Leben erwachen, schwingen, schnappen und klicken würden, sobald jemand irgendwo im Haus auf einen Liftknopf drückte. Der grüne Zwerg und die Spinne.



 
    Er trat in den kühlen, frischen Nachtwind hinaus. Als er an einem Luftschacht vorbeikam, blieb er stehen und warf aus einem Impuls heraus ein Kiessteinchen hinein. Es dauerte fast drei Sekunden, bis er es mit einem leisen, scharfen Geräusch unten aufschlagen hörte. Ungefähr achtzig Fuß. Er fühlte eine gewisse Befriedigung bei dem Gedanken, dass er schon wach und bei klarem Verstand war, während die meisten Menschen noch fest schliefen.
    Er blickte zu den Sternen empor, die den dunklen Dom des Himmels schmückten wie winzige Silbernägel. Für San Francisco mit seinen ständigen Nebeln und dem widerlichen Smog, der von Oakland und San José herübertrieb, war es eine gute Nacht, um den Sternhimmel zu beobachten. Der Mond war untergegangen. Beglückt studierte er die Superkonstellation, die ›der Schild‹ genannt wird, ein himmelumspannendes Hexagon, dessen Ecken von Capella im Norden, dem hellen Pollux (in dessen Nähe Castor stand, und in diesen Jahren auch Saturn), Procyon, dem kleinen Hundestern, Sirius, dem hellsten aller Sterne, dem bläulichen Rigel im Sternbild des Orion, und (wieder in nördlicher Richtung) dem rotgoldenen Aldebaran markiert wurden. Er hielt den Feldstecher vor die Augen und blickte zu dem goldenen Schwarm der Hyaden hinauf, die sich um Aldebaran scharten, und dann zu den in unmittelbarer Nähe des Schildes stehenden, blauweißen Sternchen der Plejaden.
    Die beständigen, ruhigen Sterne passten zu seiner morgendlichen Stimmungslage und verstärkten sie. Er blickte wieder zum Orion empor, und dann zu dem Fernsehturm mit seinen roten Lichtern und Blinkern.
    Unter ihnen zeichneten sich die Corona Heights wie ein schwarzer Buckel vor den Lichtern der Stadt ab.
    Ihm kam die Erinnerung – plötzlich und kristallklar, so wie immer in letzter Zeit in der Stunde nach dem Erwachen – an den Augenblick, als er den Fernsehturm zum ersten Mal bei Nacht gesehen hatte und dabei an einen Satz aus Lovecrafts Story ›The Haunter of the Dark‹ gedacht hatte, wo der Wächter eines anderen, übel beleumundeten Berges, (des Federal Hill, in Providence) sieht, wie der ›rote Leuchtturm des Industrial Trust aufflammt, um die Nacht grotesk zu machen‹ Als er den Fernsehturm zum ersten Mal gesehen hatte, war er ihm mehr als nur grotesk erschienen, doch jetzt – sehr seltsam! – übte sein Anblick einen fast so beruhigenden Einfluss auf ihn aus wie das Sternbild des Orions.
    ›The Haunter of the Dark‹! dachte er mit einem lautlosen Lachen. Gestern hatte er das Kapitel einer Story durchlebt, die man am zutreffendsten als ›The Lurker at the Summit‹ { * } * bezeichnen konnte. Wie eigenartig!
    Bevor er in sein Apartment zurückkehrte, warf er noch einen raschen Blick auf die dunklen Rechtecke und die mageren Pyramiden der Wolkenkratzer in der City – die Schreckgespenster des alten Thibaut! –, und die höchsten von ihnen waren gleichfalls mit roten Warnlichtern bestückt.
    Er machte sich noch einen Kaffee, und diesmal brachte er das Wasser auf der Elektroplatte zum Kochen, nahm Zucker und viel Milch. Dann machte er es sich im Bett bequem, entschlossen, diesen Vormittag dazu zu benutzen, um sich über einige Dinge klarzuwerden, die sein ermüdetes Gehirn am vergangenen Abend nicht

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