Herrin der Dunkelheit
richtig verarbeiten konnte. Thibauts düsteres Buch und das verblichen-teerosenfarbene Journal hatten bereits den Kopf seines ›Studentenliebchens‹ auf seiner Seite des Bettes verdrängt. Jetzt legte er die großen, schwarzen, rechteckigen Bände von Lovecrafts ›The Outsider‹ und die ›Collected Ghost Stories‹ von Montague Rhodes James dazu, und ein paar vergilbte, alte Exemplare von Weird Tales (irgendein Puritaner hatte ihre grausig-grellen Titelseiten abgerissen), die Stories von Clark Ashton Smith enthielten, und um für sie Platz zu machen, schob er ein paar der bunten Zeitschriften zu Boden, und mit ihnen die farbigen Servietten.
»Du fällst auseinander, Liebling«, sagte er fröhlich, »und nimmst eine düsterere Färbung an. Ziehst du dich für ein Begräbnis um?«
Dann beschäftigte er sich für eine Weile ernsthaft mit Megapolisomancy. Mein Gott, der alte Knabe verstand es wirklich, pseudowissenschaftlichem Geschwafel Farbe zu geben. Zum Beispiel:
Zu jedem Zeitpunkt der Geschichte hat es eine oder zwei Städte der monströsen Art gegeben – z. B. Babel oder Babylon, Ur-Lhasa, Ninive, Syrakus, Rom, Samarkand, Tenochtitlan, Peking – aber wir leben heute im megapolitanischen (oder nekropolitanischen) Zeitalter, wo solche Desaster sich vervielfältigt haben und die Gefahr besteht, dass sie zusammenwachsen und die Welt unter totem, aber multipotentem Großstadt-Müll begraben. Wir brauchen einen Schwarzen Pythagoras, um die Übel unserer Monster-Städte und ihre nach Verwesung stinkenden, kreischenden Songs auszuspionieren, so wie der Weise Pythagoras vor zweieinhalb Jahrtausenden die himmlischen Sphären und ihre kristallinen Symphonien ausspionierte.
Oder, als er dem mehr von seiner eigenen Marke des Okkultismus hinzufügte:
Da wir modernen Stadtmenschen bereits in Gräbern leben, wodurch wir auf eine gewisse Weise an den Tod gewöhnt und auf ihn vorbereitet werden, ergibt sich hier die Möglichkeit einer unendlichen Verlängerung dieses Lebens-im-Tode. Doch, obwohl durchaus praktikabel, wäre es bestenfalls eine äußerst morbide und miserable Existenz, ohne Vitalität oder auch nur Bewusstsein, sondern lediglich Paramentation, bei der paramentale Wesen azoischen Ursprungs, aggressiver und gefährlicher als Spinnen und Wiesel, unsere Haupt-Gefährten wären.
Wie würde Paramentation sein? fragte sich Franz. Wie eine Art Trance? Wie Opium-Träume? Dunkle, drohende Phantome sensorischer Auszehrung? Oder etwas gänzlich anderes?
Oder:
Das elektro-mephytische Großstadt-Material, von dem ich spreche, besitzt Potentiale, um über riesige räumliche und zeitliche Entfernungen hinweg unglaublich starke Wirkungen auszulösen, selbst in ferner Zukunft und auf anderen Planeten, doch will ich auf die für ihre Manipulation und Kontrolle notwendigen Maßnahmen auf diesen Seiten nicht näher eingehen.
Wie es der überstrapazierte, doch vitale, zeitgenössische Ausruf in einem solchen Fall so unvergleichlich ausdrückte: Wow!
Franz nahm eines der alten, verblichenen Taschenbücher in die Hand und fühlte sich versucht, Smiths wunderbare Fantasy-Story ›The City of the Singing Flame‹ zu lesen, in der gigantische, aus allen Nähten platzende Städte durch das Land ziehen und sich gegenseitig bekämpfen, doch er schob es entschlossen zur Seite und griff nach dem Journal.
Smith – er war sicher, dass es von Smith stammte – war offensichtlich von de Castries stark beeindruckt worden, und er hatte offensichtlich auch Megapolisomancy gelesen. Franz fiel ein, dass das Exemplar, das er jetzt besaß, höchstwahrscheinlich einmal Smith gehört hatte. Er las eine typische Passage des Tagebuches:
Heute drei Stunden mit dem aufgebrachten Tybalt. Fast mehr, als ich ertragen konnte. Die Hälfte der Zeit Schimpfen auf die abgefallenen Akolyten, während der anderen Hälfte warf er mir Brocken paranaturaler Wahrheiten zu. Aber was für Brocken! Diese Behauptung über die Bedeutung diagonaler Straßenzuge! Wie genau dieser alte Teufel ins Innere der Städte blickt und ihre unsichtbaren Krankheiten erkennt – ein neuer Pasteur, aber einer der lebenden Toten.
Er sagt, dass sein Buch kindisches Zeug sei, aber das neue Thema – über den Kern und das Warum und wie sie zu benutzen sind – behält er im Kopf und in der ›Grand Cipher‹ deren Vorhandensein er hin und wieder vage andeutet. Manchmal nennt er sie (die ›Grand Cipher‹) sein Fünfzig-Buch, das heißt, falls ich recht
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