Herrin der Dunkelheit
bleibe ich, jetzt, wo die Bedrohungen die Offenbarungen überwiegen? Dieses zusammenhanglose Zeug über Techniken, paramentale Wesen auf meine Spur zu setzen … eine klare Bedrohung.
Franz runzelte die Stirn. Er wusste ein wenig über die brillante literarische Gruppe, die um die Jahrhundertwende in San Francisco beheimatet gewesen war, und die bedrückend große Zahl ihrer Mitglieder, die ein tragisches Ende gefunden hatte – unter ihnen der makabre Autor Ambrose Bierce, der 1913 in dem von einer Revolution erschütterten Mexiko verschwand, Jack London, der wenig später einer Urämie und Morphin-Vergiftung erlag, und der Fantasy-Dichter Sterling, der in den zwanziger Jahren an Gift starb. Er nahm sich vor, Jaime Donaldus Byers bei der ersten sich bietenden Gelegenheit nach weiteren Einzelheiten über die ganze Angelegenheit zu fragen.
Die letzte Tagebucheintragung, die mitten in einem Satz abbrach, war von der gleichen Art:
Überraschte Tiberius heute, als er mit schwarzer Tinte Eintragungen in eine Kladde machte, wie sie für die Buchhaltung benutzt wird. Sein Fünfzig-Buch? Die Grand Cipher? Ich konnte einen Blick auf voll beschriebene Seite werfen und glaubte astronomische und astrologische Symbole zu erkennen (Vielleicht fünfzig davon?), bevor er sie zuklappte und mir vorwarf, zu spionieren. Ich versuchte, ihn von diesem Thema abzubringen, aber er sprach von nichts anderem.
Warum bleibe ich? Dieser Mann ist ein Genie (Paragenie?), aber er ist auch ein Paranoiker!
Er schüttelte die Kladde vor meinem Gesicht und schrie: ›Vielleicht werden Sie eines Nachts auf leisen Sohlen hier hereinschleichen und sie stehlen! Ja, warum auch nicht? Es würde lediglich Ihr Ende bedeuten, paramental gesprochen! Das würde Ihnen nicht weh tun. Oder doch?‹
Ja, bei Gott, es wird Zeit, dass ich …
Franz blätterte die nächsten Seiten um, die alle unbeschrieben waren, und blickte dann über das Journal hinweg zum Fenster, durch das er vom Bett aus lediglich eine genauso leere Wand eines der beiden Hochhäuser sehen konnte. Ihm fiel ein, was für eine unheimliche Fantasia von Gebäuden dies alles war: de Castries’ düstere Theorien über sie; Smith, der in San Francisco eine … ja, eine Mega-Nekropolis sah; Lovecrafts Horror vor den mit Menschenmassen gefüllten Wohntürmen New Yorks; den Wolkenkratzern der City, die er vom Dach dieses Hauses aus sehen konnte; dem Meer von Dächern, auf das er vom Gipfel der Corona Heights herabgeblickt hatte; und dieses alte, heruntergekommene Gebäude selbst, mit seinen dunklen Korridoren, seiner gähnenden Eingangshalle, den seltsamen Schächten und Wandschränken, den vielen Nischen, in denen sich alles mögliche verstecken konnte.
12
Franz machte sich noch eine Tasse Kaffee – es war jetzt bereits seit einiger Zeit heller Tag – und schleppte einen Stapel Bücher, die er aus dem Regal neben dem Schreibtisch genommen hatte, zum Bett. Um für sie Platz zu schaffen, musste er noch mehr von seiner farbigen Unterhaltungsliteratur auf den Boden werfen, und er sagte zu seinem ›Studentenliebchen‹: »Du wirst immer dunkler und intellektueller, Liebling, aber nicht ein bisschen älter, und du bist so schlank wie immer. Wie machst du das nur?«
Die neuen Bücher waren ein guter Querschnitt durch das, was er seine ›Nachschlagbibliothek des Unheimlichen‹ nannte. Die meisten waren nicht das neue okkulte Zeug, zumeist das Werk von Scharlatanen und Schreiberlingen, die mal eben etwas schnelles Geld machen wollten, oder von naiven Selbstbetrügern, die nicht einmal die notwendigen wissenschaftlichen Voraussetzungen mitbrachten – Treibgut und Schaum auf der Flutwelle der Hexerei (gegenüber der Franz äußerst skeptisch war) –, sondern Bücher, die das Unheimliche auf einem indirekten Weg angingen, doch von einer weit solideren Basis aus. Er blätterte ein wenig in ihnen, aufmerksam und gutgelaunt, während er seinen dampfenden Kaffee trank. Da war Professor M. D. Nostigs The Subliminal Occult, jenes seltsame, äußerst skeptische Buch, das sämtliche Behauptungen der Parapsychologen zurückweist, aber dennoch einen Rest von Unerklärlichem feststellt; Montagues witzige und profunde Monographie White Tape, mit seiner These, dass die menschliche Zivilisation von ihren eigenen Akten, bürokratischen und anderen, erstickt und mumifiziert werde; kostbare, abgegriffene Exemplare dieser extrem raren, dünnen Bücher, die von ihren vielen Kritikern
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