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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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leidenschaftlich angegriffen und verrissen worden waren – Ames et Fantômes de Douleur, vom Marquis de Sade; und Knochenmädchen im Pelz mit Peitsche von Sacher-Masoch; Oscar Wildes De Profundis und Suspiria de Profundis (mit seinen drei ›Ladys of Sorrow‹) von Thomas de Quincey, diesem alten Opium-Esser und Metaphysiker beides sehr alltägliche Bücher, die jedoch auf eine seltsame Art und nicht nur durch die Ähnlichkeit ihrer Titel miteinander verbunden waren; Der Fall Mauritius von Jakob Wassermann; Celines Reise ans Ende der Nacht; mehrere Exemplare von Bonewits’ Zeitschrift Gnostica; The Spider Glyph in Time von Mauricio Santos-Lobos; und das monumentale Sex, Death and Supernatural Dread, von Mrs. Francis D. Lettland, Ph. B.
    Eine ganze Weile an diesem Vormittag beschäftigte er sich beglückt mit der unheimlichen Wunderwelt, die aus den Seiten dieser Bücher vor seinen Augen entstand, und durch das Buch de Castries, durch das Tagebuch und durch seine klaren Erinnerungen an die seltsamen Erlebnisse des vergangenen Tages. Wirklich, die modernen Städte waren das größte Mysterium dieser Welt, und die Wolkenkratzer seine Kathedralen.
    Als er das reimlose Gedicht ›Ladys of Sorrow‹ in Suspiria las, fragte er sich – nicht zum ersten Mal –, ob die Schöpfungen de Quinceys irgend etwas mit dem Christentum zu tun hatten. Obwohl Mater Lachrymarum, Unsere Mutter der Tränen, der Name der ältesten Schwester, an Mater Dolorosa erinnert, und auch der der zweiten Schwester Mater Suspiriorum, Unsere Mutter der Seufzer – und selbst der der jüngsten, der schrecklichsten der Schwestern, Mater Tenebrarum, Unsere Mutter der Finsternis. (De Quincey hatte die Absicht gehabt, ein ganzes Buch über sie zu schreiben, Das Reich der Finsternis, dieses Vorhaben offensichtlich jedoch nicht durchgeführt – das wäre ein wunderbares Thema gewesen!) – Nein, ihre geistigen Vorfahren waren in der Welt der Klassik zu suchen (sie waren Parallelen zu den drei Schicksalsgöttinnen und den drei Furien), und sie selbst entsprangen den Labyrinthen des drogenerweiterten Bewusstseins dieses englischen Laudanum-Trinkers.
    Inzwischen verfestigten sich Franz’ Pläne, wie er den heutigen Tag verbringen wollte, und seine Vorhaben versprachen Freude und Befriedigung. Als erstes wollte er versuchen, die Geschichte dieses anonymen Gebäudes, 811 Geary Street, festzustellen. Und das war nicht nur ein eigenes Anliegen; Cal und Gun waren auch daran interessiert. Als nächstes würde er wieder auf die Corona Heights hinaufsteigen, um festzustellen, ob es wirklich das Fenster seines Zimmers gewesen war, das er von dort aus gesehen hatte. Irgendwann am Nachmittag wollte er dann Jaime Donaldus Byers besuchen (vorher anrufen), und dann, am Abend, natürlich Cals Konzert.
    Er blinzelte und blickte umher. Trotz des offenen Fensters war der Raum voller Qualm. Sorgfältig drückte er seine Zigarette auf dem Rand des überquellenden Aschenbechers aus.
    Das Telefon klingelte. Es war Cal, die ihn zu einem späten Frühstück einlud.

 
13
     
    Als Cal ihm öffnete und in der offenen Tür stand, sah sie so reizend und jung aus – sie trug ein grünes Kleid und hatte ihr Haar zu einem langen Pferdeschwanz zusammengerafft – dass er sie an sich drücken und küssen wollte. Doch sie hatte noch immer diesen in sich gekehrten, nachdenklichen Gesichtsausdruck: ›Bewahren für Bach‹.
    »Hallo, Franz«, begrüßte sie ihn. »Ich habe wirklich zwölf Stunden geschlafen, wie ich es euch angekündigt hatte. Gott war mir gnädig. Macht es dir etwas aus, dass es wieder Eier gibt? Es ist ja eigentlich schon bald Zeit fürs Mittagessen. Gieß dir Kaffee ein.«
    »Musst du heute wieder üben?« fragte er mit einem Blick auf die Tastatur des elektronischen Klaviers.
    »Ja, aber nicht darauf. Heute nachmittag drei oder vier Stunden mit der Konzertharfe. Und ich muss sie auch noch stimmen.«
    Er trank seinen Kaffee und beobachtete die Poesie der Bewegung, als sie verträumt Eier in die Pfanne schlug, ein unbewußtes Ballett von rinnendem Eiweiß und schlanken Fingern. Er stellte fest, dass er sie mit Daisy verglich, und, amüsanterweise, auch mit seinem ›Studentenliebchen‹. Cal und die letztere waren beide schlank, beide irgendwie intellektuelle, stille Typen, zweifellos von der Weißen Göttin berührt, verträumt, aber diszipliniert. Auch Daisy war von der Weißen Göttin berührt worden, eine Dichterin, und ebenfalls diszipliniert; sie hatte sich intakt

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