Herrin der Dunkelheit
umfasst sie ein paar Sekunden lang mit den seinen, keucht ein paar Worte (sie werden vom Heulen des Orkans übertönt) und wirft sich in einem letzten Aufbäumen seiner Kräfte über Bord.
Der Ballon schießt aufwärts, durchstößt die dunklen Sturmwolken und rast weiter südostwärts. Die frierenden, verängstigten, aber ungebeugten jungen Menschen hocken dicht aneinandergedrängt auf dem Boden der Gondel; ihnen gegenüber der Panther, der sich jetzt beruhigt hat und sie mit seinen grünen, enigmatischen Augen anstarrt. Im Südosten, in der Richtung, in die der Ballon getrieben wird, erscheint der gehörnte Mond über den Wolken, wie die Hexenkrone der Königin der Nacht, und setzt sein Siegel auf die Szene.
Der Ballon landete schließlich in der ägyptischen Wüste, in der Nähe von Kairo. Der junge de Castries stürzte sich sofort in das Studium der Großen Pyramide, unterstützt von der jungen polnischen Geliebten seines Vaters (jetzt die seine) und durch die Tatsache, dass er mütterlicherseits von Champollion abstammte, dem Entzifferer des Steins von Rosette. Er machte alle Entdeckungen Piazzi Smiths (und noch ein paar mehr, die er geheim hielt) zehn Jahre vor Smith und legte die Basis für seine neue Wissenschaft der Superstädte (und auch seiner Grand Cipher), bevor er Ägypten verließ, um Mega-Strukturen, Cryptoglyphen (wie er sie nannte) und Paramentalität auf der ganzen Welt zu erforschen.
»Diese Verbindung mit Ägypten finde ich faszinierend«, sagte Byers wie in Parenthese, während er sich Brandy nachschenkte. »Sie lässt mich an Lovecrafts Nyarlathotep denken, der aus Ägypten kam, um pseudowissenschaftliche Vorlesungen über das bevorstehende Zerbröckeln der Erde zu halten.«
Die Erwähnung von Lovecraft erinnerte Franz an etwas. »Sagen Sie, hatte Lovecraft nicht einen Anhänger, dessen Name dem Thibaut de Castries ähnlich war?«
Byers blickte Franz überrascht an. »Das stimmt! Adolphe de Castro.«
»Eine verblüffende Ähnlichkeit. Halten Sie es für möglich …«
»… dass die beiden identisch sind?« Byers lächelte. »An diese Möglichkeit habe ich auch schon gedacht, mein lieber Franz, und es wäre noch etwas dazu zu sagen: Lovecraft hat Adolphe de Castro abwechselnd ›einen liebenswerten Scharlatan‹ und ›einen salbadernden, alten Hypokriten‹ genannt (er hat Lovecraft für eine völlige Neufassung seiner Stories knapp ein Zehntel des Honorars gezahlt, das er für sie erhielt) – aber nein – de Castro lebte noch, fiel Lovecraft auf die Nerven und besuchte ihn in Providence, als de Castries bereits tot war.
Um von de Castries weiter zu berichten: Wir wissen nicht, ob seine polnische Geliebte ihn begleitete und vielleicht die mysteriöse, verschleierte Lady war, die nach Aussagen mehrerer Menschen zur selben Zeit wie er in San Francisco auftauchte. Ricker jedenfalls war davon überzeugt. Klaas bezweifelte es. Ricker hatte eine romantische Vorstellung von der schönen Polin. Er sah sie als eine brillante Pianistin (aber das sagt man von den meisten Polen, nicht wahr? Chopin hat sich dafür zu verantworten), die diesem Talent völlig entsagt hatte, um ihre umfassenden Sprachkenntnisse und gründlichen sekretarialen Fähigkeiten – und die Reize ihres jungen Körpers – dem noch jüngeren Genie zur Verfügung zu stellen, den sie sogar noch mehr verehrte als seinen abenteuernden Vater.«
»Wie hieß sie?« fragte Franz.
»Das habe ich nie in Erfahrung bringen können«, antwortete Byers. »Sowohl Klaas als auch Ricker hatten es vergessen, oder wahrscheinlicher es war einer der Punkte, bei denen der alte Knabe selbst ihnen gegenüber verschlossen war. Außerdem liegt doch eine große Befriedigung in dieser Bezeichnung: ›die junge, polnische Geliebte seines Vaters‹ – was könnte romantischer und exotischer klingen? Man denkt dabei an Harfenklänge und ein Meer von Champagner, an zarte Spitzenunterwäsche und Pistolen! Denn unter ihrer kühlen und gelehrten Fassade glühte sie vor Temperament und Leidenschaft, jedenfalls nach der Vorstellung Rickers, und wenn sie schlechter Laune war, konnten ihre Wutanfälle wie ein Naturereignis ausfallen. Die ägyptischen Fellachen fürchteten sie und hielten sie für eine Hexe. Es war während ihres Aufenthaltes im Nilland, behauptet Ricker, dass sie begann, den Schleier zu tragen.
Andererseits konnte sie unglaublich verführerisch sein, die Inkarnation europäischer Weiblichkeit, die de Castries in die raffiniertesten
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