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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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Nacht die von Mozart? – Allmächtig, nur nicht gegen die Zauberflöte und die Glocken Papagenos?
    Doch Byers fuhr fort: »Sie müssen wissen, Franz, dass es ständig Berichte und Gerüchte gab, dass de Castries von einer verschleierten Dame besucht oder bedrängt wurde, die weite, fließende Kleider trug und entweder einen Turban oder einen weiten, breitkrempigen Hut, sich aber äußerst schnell und behände bewegen konnte. Man hatte sie gelegentlich zusammen gesehen, auf der anderen Seite einer Hauptverkehrsstraße, oder auf dem Embarcadero, oder in einem Park, oder am anderen Ende einer überfüllten Theater-Lobby; zumeist waren sie in Eile gewesen und hatten sich lebhaft gestikulierend unterhalten, doch wenn man versuchte, sie zu erreichen, war die Frau verschwunden. Oder wenn sie, bei einigen wenigen Gelegenheiten, noch da war, wurde sie von de Castries niemals vorgestellt, und er sprach in Gegenwart anderer auch niemals mit ihr und tat immer so, als ob er sie überhaupt nicht kennen würde. Doch schien er in Gegenwart anderer Menschen immer irritiert und – wie einige seiner Freunde behaupteten – voller Furcht.«
    »Wie war ihr Name?« drängte Franz.
    Byers lächelte. »Wie ich Ihnen eben sagte, mein lieber Franz, hat er sie niemals vorgestellt. Und wenn er von ihr sprach, so höchstens von ›dieser Frau‹, oder manchmal, seltsamerweise, von ›diesem dickköpfigen, aufdringlichen Mädchen‹. Vielleicht hatte er, trotz all seines dunklen Charmes, seiner Tyrannei und SM-Aura Angst vor Frauen, und sie war die Personifizierung und Verkörperung dieser Angst.
    Die Reaktionen gegenüber dieser geheimnisvollen Gestalt waren unterschiedlich. Die Männer waren zumeist nachsichtig, interessiert und spekulativ, und manche ihrer Spekulationen waren überaus fantasievoll – es gab, zu verschiedenen Zeiten, die Vermutung, dass sie Isadora Duncan, Eleonora Duse oder Sarah Bernhardt sei, obwohl sie dann entweder zwanzig, vierzig oder sechzig Jahre alt gewesen sein müsste. Aber wirkliche Schönheit ist alterslos, wird behauptet; denken Sie doch an Marlene Dietrich oder die Arletty, oder die Doyenne aller schönen Frauen, Kleopatra. Sie hat sich immer hinter ihrem dunklen Schleier versteckt, wie ich Ihnen sagte, der allerdings gelegentlich mit farbigen Punkten verziert war – ›als ob sie schwarze Pocken hätte‹, wie es eine der Damen einmal bösartig beschrieben haben soll.
    Aber da war sie nicht einzige: Alle Frauen hassten sie.
    Natürlich ist meine Schilderung sicher etwas gefärbt, da ich fast alle Informationen über sie durch die Filter von Ricker und Klaas erhalten habe. Ricker, der häufig von ihrer Gelehrsamkeit und ägyptischen Weisheit sprach, war überzeugt, dass diese geheimnisvolle Lady noch immer die polnische Geliebte war, die vor Liebe zu de Castries den Verstand verloren hatte, und er kritisierte häufig die nachlässige Behandlung, die sie durch ihn erfuhr.
    All dies führte natürlich zu endlosen Spekulationen über de Castries’ Sexualleben. Manche waren der Ansicht, dass er homosexuell sei. Selbst in jenen Tagen hatte ›die kühle, graue Stadt der Liebe‹, wie Sterling sie nannte, ihre Homophilen – ›kühle, graue Stadt‹? Andere waren überzeugt, dass er auf eine SM-Art abartig war. (Eine ganze Reihe von Männern haben sich auf diese Weise unbeabsichtigt erdrosselt, wussten Sie das?) Und fast im selben Atemzug wurde er für einen Päderasten, einen Perversen, einen Fetischisten und für völlig asexuell gehalten, und es wurde gemunkelt, dass nur unentwickelte kleine Mädchen seine tiberianischen Gelüste befriedigen könnten. Es tut mir leid, falls ich Ihre Gefühle verletzt haben sollte, Franz, aber es wurden wirklich alle Abartigkeiten, die wir kennen, in diese Spekulationen einbezogen.
    Aber natürlich nicht sofort, und auch nicht gleichzeitig, sondern nach und nach. Das wichtigste ist jedoch, dass de Castries für eine gewisse Zeit seine Gruppe der Auserwählten dort hatte, wo er sie haben wollte.«

 
20
     
    Donaldus fuhr fort: »Der Höhepunkt von Thibaut de Castries’ San Francisco-Abenteuer war erreicht, als er – nach viel Geheimniskrämerei und sorgfältiger Auswahl und geheimen Botschaften – und mit großem Pomp und Zeremoniell, wie ich vermute – seinen Hermetischen Orden begründete.«
    »Ist das der Hermetische Orden, den Smith, oder zumindest dieses Tagebuch, erwähnt?« unterbrach Franz. Er hatte mit einer Mischung aus Faszination, Irritation und leichtem Humor

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