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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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ließ einen Menschen gegenüber allen Dingen misstrauisch werden, die seine Umwelt bildeten, gegenüber seinen vertrautesten Besitztümern. Was konnte nicht unter dem Futter seiner Anzüge verborgen sein, oder in der rechten Hosentasche? (bei einer Frau in der Handtasche, oder in ihrem Büstenhalter) oder in dem Stück Seife, mit dem er sich täglich wusch (es konnte eine Rasierklinge enthalten)?
    Doch wenn er nur daran dachte, dass er endlich de Castries Handschrift vor Augen hatte, so gestochen sauber; und so unglaublich verworren …
    Ein Detail löste in ihm eine weitere Frage aus. »Donaldus«, sagte er, »wie konnte Smiths Tagebuch in de Castries Hände gelangen?«
    Byers stieß einen langen, alkoholgesättigten Seufzer aus, massierte sein Gesicht mit beiden Händen (Franz hielt das Journal fest, das sonst zu Boden gefallen wäre) und sagte: »Oh, das. Klaas und Rickers haben mir übereinstimmend erklärt, dass de Castries ehrlich besorgt und verletzt war, als Clark nach Auburn (wie es sich herausstellte) gefahren war, ohne sich von ihm zu verabschieden, nachdem er den alten Mann länger als einen Monat täglich aufgesucht hatte. De Castries war so verstört, erklärten sie mir, dass er eines Tages zu Clarks billiger Absteige ging und die Wirtin überzeugte, dass er Clarks Onkel sei, so dass sie ihm einige Sachen aushändigte, die Clark zurückgelassen hatte, als er Hals über Kopf ausgezogen und abgereist war. ›Ich werde sie für den kleinen Clark aufheben‹, erklärte er Ricker und Klaas, und später, nachdem er von Clark gehört hatte, fügte er hinzu: ›Ich habe ihm seine Sachen zugeschickt.‹ Den beiden war nie der Verdacht gekommen, dass der alte Mann auf Clark wütend sein könnte.«
    Franz nickte. »Aber wie ist das Journal (jetzt mit de Castries Fluch zwischen den zusammengeklebten Seiten) von ihm zu dem Trödler gekommen, bei dem ich es gekauft habe?«
    »Wer weiß?« sagte Byers müde. »Dieser Fluch erinnert mich jedoch an eine andere Seite von de Castries’ Charakter, von der ich bisher noch nicht gesprochen habe: seine Vorliebe für recht sadistische Scherze. Trotz seiner morbiden Angst vor der Elektrizität präparierte er einmal unter Mithilfe Rickers einen seiner Stühle so, dass der Benutzer einen elektrischen Schlag erhielt; auf diese Weise wollte er Vertreter, Hausierer, Kinder und andere lästige Besucher verjagen. Durch diese Sache wäre er beinahe mit der Polizei in Konflikt geraten. Ein junges Mädchen, das sich um Schreibarbeiten bemühte, versengte sich auf seinem Stuhl den Hintern. Wenn man es genau überlegt, riecht diese Geschichte stark nach SM, finden Sie nicht auch? – das echte sadomasochistische Medium, die Elektrizität – Quelle von Entzücken und Schmerz. Sprechen Dichter nicht von elektrifizierenden Küssen? Ah, das Böse lauert in den Herzen der Menschen«, schloss Byers salbungsvoll und erhob sich, das Journal in Franz’ Händen lassend, und ging zu seinem Platz zurück. Franz sah ihn fragend an und streckte ihm das Journal entgegen, doch sein Gastgeber sagte, während er sich einen neuen Brandy einschenkte: »Nein, behalten Sie es. Es gehört Ihnen. Schließlich haben Sie es – gekauft. Aber geben Sie um Gottes willen besser darauf acht! Es ist eine große Rarität.«
    »Aber was halten Sie davon, Donaldus?« fragte Franz.
    Byers zuckte die Achseln und nahm einen kleinen Schluck Brandy. »Ein wirklich unheimliches Dokument«, sagte er und lächelte Franz an, als ob er sehr froh sei, dass der es jetzt in den Händen hielt. »Und es hat tatsächlich viele Jahre lang in Läden und auf Regalen gelauert. Sagen Sie, Franz, können Sie sich überhaupt nicht erinnern, wo Sie es gekauft haben?«
    »Ich habe es immer wieder versucht«, sagte Franz gequält. »Es muss auf der anderen Seite der Corona Heights gewesen sein, da bin ich ziemlich sicher, und der Laden hieß … The In Group? The Black Spot? The Black Dog? The Grey Cockatoo? Nein, bestimmt nicht, und ich habe Hunderte von Namen probiert. Ich glaube, dass ›Black‹ darin vorkam, aber ich bin fast sicher, dass der Inhaber ein Weißer war. Und ich erinnere mich, dass ein kleines Mädchen – vielleicht seine Tochter – ihm im Laden half. Nicht wirklich ein ›kleines Mädchen‹, sie war schon ein ganzes Stück in der Pubertät, erinnere ich mich, und sie wusste das auch recht gut. Sie hat sich an mich gedrängt – auch diese Erinnerung ist nur vage –, und ich glaube (ich war natürlich ziemlich betrunken),

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