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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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hatte. Unheimlicher Untergrund – was für eine Ironie. Auf dem Manuskript stand das Telefon mit seiner langen Schnur, daneben das zerbrochene Fernglas, sein großer, überquellender Aschenbecher (aber er hatte nicht geraucht, seit er heute abend hereingekommen war, und spürte auch jetzt keine Lust dazu), daneben lag das Schachbrett mit den zur Hälfte aufgestellten Figuren, neben ihm die Schiefertafel mit dem Kreidestück und einem Prisma und einigen geschlagenen Schachfiguren, und am Rand, neben der Tafel, standen die beiden Gläser und die noch immer geöffnete Flasche Kirschwasser.
    Allmählich wirkte das Durcheinander auf Franz umwerfend komisch, viel zu verwirrend, um es aufzuräumen. Obwohl seine Augen und Ohren nach wie vor Wache hielten (es war zu einem fast zwanghaften Reflex geworden), kicherte er leise. Sein Abendbewußtsein besaß immer eine alberne Seite, eine Tendenz zu faulen Witzen, seltsam gemixten Klischees und leicht psychotischen Epigrammen – Narrheiten, aus der Erschöpfung geboren. Er erinnerte sich, wie genau und einleuchtend der Psychologe F. C. MacKnight den Übergang vom Wachsein zum Schlaf beschrieben hatte: die logischen, kurzen Tagesschritte des Verstandes wurden nach und nach länger, jeder geistige Sprung etwas unsicherer und gedankenloser, bis sie (ohne jede Zäsur) zu absolut unberechenbaren, gigantischen Schritten wurden und man zu träumen begann.
    Er nahm den Stadtplan zur Hand, den er auseinandergefaltet auf dem Bett liegengelassen hatte, und breitete ihn wie eine Decke über das Durcheinander auf dem Kaffeetisch.
    »Schlafe jetzt, du kleiner Misthaufen«, sagte er mit humoriger Zärtlichkeit.
    Er legte das Lineal, das er vorhin gebraucht hatte, auf den Stadtplan, so wie ein Zauberer nach gelungener Vorstellung seinen Zauberstab auf seine Utensilien legt.
    Dann (seine Augen und Ohren machten noch immer ihre Wachrunden) wandte er den Kopf und blickte zu der Wand, an die Fernando seinen großen Kreidestern gemalt hatte. Anschließend brachte er auch seine Bücher zu Bett, so wie eben den Misthaufen auf dem Kaffeetisch, sein ›Studentenliebchen‹, seine ›Scholar’s Mistress‹ – eine gewohnte, normale Beschäftigung, das Berühren vertrauter Dinge, und das beste Gegenmittel zur Bekämpfung der wildesten Ängste.
    Auf die vergilbten Seiten von Megapolisomancy – das Kapitel über ›elektro-mephytisches Städte-Material‹ war aufgeschlagen – legte er mit einer sanften Bewegung Smith’s Journal, die neuentdeckte Seite mit dem Fluch offen.
    »Du bist heute recht blass, Liebling«, bemerkte er (das Reispapier), »und doch sehe ich auf deiner rechten Wange all die uralten Schönheitsflecken, eine ganze Seite davon. Träume von einer herrlichen Satanisten-Party in feierlicher Abendgarderobe, alles in Schwarz und Weiß wie Letztes Jahr in Marienbad, in einem riesigen Ballsaal, wo cremefarbene, schlanke Barsois umherschreiten wie riesige Spinnen.«
    Er berührte ihre Schulter, die hauptsächlich aus Lovecrafts Outsider bestand, die vierzig Jahre alten, bräunlichen Seiten bei der Erzählung The Thing on the Doorstep aufgeschlagen. Er murmelte: »Du darfst jetzt nicht zerfließen, Liebling, wie die arme Asenath Waite. Denk daran, dass du keine ausgefallenen Zahnreparaturen hast (jedenfalls weiß ich nichts davon), nach denen man dich einwandfrei identifizieren könnte.« Er blickte auf ihre andere Schulter: die Wonder Stories und Weird Tales, die Schutzumschläge abgerissen, mit angeknickten Ecken, darauf Smiths The Disinterment of Venus. »Das ist ein viel schönerer Weg aus dieser Welt«, kommentierte er. »Nur rosiger Marmor unter den Würmern und dem Zerfall.«
    Die Brust wurde von Mrs. Lettlands monumentalem Werk gebildet, das passenderweise bei jenem geheimnisvollen, provokativen und fundamentale Fragen aufwerfenden Kapitel Die mystische Brust: Kalt wie … geöffnet war. Er dachte an das seltsame, spurlose Verschwinden dieser Feministen-Autorin in Seattle. Jetzt würde niemand mehr von ihr Antworten auf die Fragen bekommen.
    Seine Finger strichen über die schlanke, schwarze, graugesprenkelte Taille, die von James’ Geistergeschichten gebildet wurde – das Buch war einmal vom Regen völlig durchweicht worden, anschließend hatte er es – eine tropfnasse, verkrumpelte Seite nach der anderen – mühsam getrocknet. Er richtete sich ein wenig auf, rückte das gestohlene Adressbuch (das die Hüften repräsentierte und noch immer bei der Hotel-Sektion aufgeschlagen war)

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