Herrin der Falken - 3
werden
zusammen jagen, du und ich, als Freunde, nicht als Herr und
Sklave, das verspreche ich dir…«
Sie füllte ihren Geist mit Bildern von freiem Schweben über
den Bäumen im Sonnenschein, rief ihre Erinnerung an die
letzte Beize zurück. Sie sah den Vogel mit seiner Beute in
Spiralen niedersteigen, sie riß das eben getötete Fleisch entzwei, damit sie dem Falken seinen Anteil geben konnte… und wieder, mit einem Verlangen, das sie krank machte, spürte sie den wahnsinnigen Hunger, das geistige Bild des Falkens vom Schlagen der Beute, frisches Blut floß in ihren Mund… Ihr eigener menschlicher Ekel, der Hunger des Falken vermischten sich so in ihr, daß sie kaum noch wußte, was was war. Diesen Hunger spürend, streckte sie den Streifen Rabbithornfleisch aus. Aber jetzt stieß der Gestank sie ebenso ab wie den Falken.
Sie meinte, sich übergeben zu müssen.
Trotzdem mußt du essen und neue Kraft gewinnen, preciosa.
Wieder und wieder schickte sie den Gedanken aus und nahm
den Hunger des Falkenweibchens, ihr schwächer werdendes
Toben wahr. Preciosa, das ist dein Name, so will ich dich
nennen, und ich möchte, daß du frißt und stark wirst, Preciosa,
damit wir zusammen jagen können. Aber zuerst mußt du mir
vertrauen und fressen…Ich möchte, daß du frißt, weil ich dich
liebe und dies mit dir teilen möchte. Aber zuerst mußt du
lernen, von meiner Hand zu fressen… friß, Preciosa, meine
Schöne, mein Liebling, willst du das hier nicht fressen? Ich
möchte nicht, daß du stirbst…
Stunden mußten vorübergeschlichen sein, so kam es ihr vor,
während sie dastand, eingespannt in den endlosen Kampf mit
dem schwächer werdenden Falken. Jedes Mal waren die Tobsuchtsanfälle kürzer. Das Hungergefühl quälte den Falken so
sehr, daß sich Romillys eigener Körper vor Schmerz verkrampfte. Seine Augen waren so grell, so von Entsetzen gefüllt
wie zuvor, und aus diesen Augen flutete das alles mit wachsender Verzweiflung in Romilly ein.
Ganz bestimmt wurde der Falke schwächer. Wenn er nicht bald
kröpfte, nach all diesem Toben, mußte er sterben. Er hatte
keine Nahrung zu sich genommen, seit er vor vier Tagen
gefangen worden war. Würde er sich wehren, bis er starb?
Vielleicht hatte ihr Vater recht gehabt, vielleicht besaß keine
Frau die Kraft für dieses…
Romilly dachte an den Moment, als sie sich selbst mit den
Augen des Falken gesehen hatte. Und sie, Romilly MacAran,
war nicht einmal mehr eine Erinnerung gewesen, dafür aber
etwas anderes als menschlich. Furcht und Verzweiflung überwältigten sie. Das Bild bedrängte sie, wie sie sich den Handschuh abriß, wie sie resignierend ihre Handarbeit ergriff, sich für immer von Mauern einschließen ließ. Eine Gefangene, mehr eine Gefangene als der gefesselte Falke, der wenigstens hin und wieder Gelegenheit bekommen würde, zu fliegen und die Ekstase der Freiheit in den Lüften zu empfinden… Nein. Lieber wollte sie sterben, als in solcher Gefangenschaft
leben…
Es muß einen Weg geben, wenn ich ihn nur finden könnte!
Sie würde nicht aufgeben, niemals eingestehen, daß der Falke
sie geschlagen hatte. Sie war Romilly MacAran, geboren mit
der MacAran-Gabe, und sie war stärker als jeder Falke. Sie
würde den Falken nicht sterben lassen… nein, es war nicht
mehr »der Falke«, es war Preciosa, die sie liebte, und sie würde
um ihr Leben kämpfen, bis sie beide zusammen tot umfielen.
Noch einmal langte sie hinaus, glitt furchtlos hinein in das
Vogelgehirn, sich diesmal ihrer selbst als einer jetzt vertrauten
Tortur in Preciosas Verstand und des übelkeiterregenden, ranzigen Geruchs des Fleisches auf dem Handschuh voll bewußt… Schon glaubte sie, Preciosa werde von neuem mit den
Flügeln schlagen. Aber diesmal beugte der Vogel den Kopf auf
den Handschuh mit dem Fleisch.
Romilly hielt den Atem an. Ja, ja, friß und gewinne neue
Kraft… und dann meinte sie, von dem schrecklich fauligen
Gestank des Fleisches erbrechen zu müssen.
Jetzt will sie fressen, sie würde mir vertrauen, aber sie kann das
nicht mehr zu sich nehmen. Vielleicht, wenn sie es genommen
hätte, bevor sie so schwach wurde, aber jetzt… sie ist kein
Aasfresser…
Romilly geriet in Verzweiflung. Sie hatte das frischeste Fleisch
mitgebracht, das in der Küche aufzutreiben war, und nun war
es nicht frisch genug. Der Falke begann, ihr zu vertrauen, hätte
vielleicht Atzung vom Handschuh angenommen, wenn sie
etwas gehabt hätte, das sich ohne Ekel schlucken ließ… Eine
Ratte
Weitere Kostenlose Bücher