Herrin der Falken - 3
Hause käme, ohne etwas zu verlangen, eine berufsmäßige Schwertfrau mit dem Abzeichen der Schwesternschaft in ihrem durchbohrten Ohr? Würde er sie hinausjagen, würde er sagen, sie sei nicht seine Tochter, keine Tochter von ihm könne eine dieser geschlechtslosen Frauen der Schwesternschaft sein? Oder würde er sie lächelnd willkommen heißen und sogar Stolz auf ihre Unabhängigkeit und die Kraft empfinden, die sie bewiesen hatte, als sie sich ein eigenes Leben fern von Falkenhof aufbaute?
Sie wußte es nicht. Sie war nicht einmal imstande, es zu erraten. Vielleicht wagte sie es eines Tages, Jahre später, das herauszufinden. Mitten im Winter war es sowieso unmöglich, in die Hellers zu reisen. Die meisten Frauen, die zu einem Familienbesuch aufgebrochen waren, hatten keinen weiteren Weg als nach Thendara oder Hali, das vielleicht sieben Tagesritte entfernt lag.
In diesem Wüstenland gab es wenige Anzeichen des Frühlings. Den einen Tag war es kalt, eisige Winde wehten, Regen peitschte die Ebene, und am nächsten Tag, so hatte es den Anschein, schien die Sonne warm. In den fernen Hellers waren die Wege jetzt überflutet vom Frühlingstauwetter. Wenn Romilly mit den Pferden ins Freie konnte, zog sie den Mantel aus und arbeitete in einer schäbigen, geflickten Jacke und ebensolcher Hose.
Der Frühling brachte Gerüchte von marschierenden Armeen mit sich, von einer weit entfernten Schlacht zwischen Carolins Truppen und denen Lyondri Hasturs. Später hörten sie, Carolin habe Frieden mit dem Großen Haus von Serrais geschlossen, und seine Soldaten sammelten sich wieder auf den Ebenen. Romilly achtete wenig darauf. Sie hatte den ganzen Tag mit der neuen Gruppe von Pferden zu tun, die man ihnen zu Frühlingsanfang gebracht hatte. Sie hatten einen Unterstand für sie gebaut und eine neue Koppel außerhalb des Grundstücks der Schwesternschaft gepachtet. Dorthin ging Romilly jeden Nachmittag mit ihren Helferinnen. Ihre Welt war zusammengeschrumpft auf Stall und Koppel und die Ebene vor der Stadt, wo sie zwei- oder dreimal alle zehn Tage die Pferde trainierten. Als sie eines Tages die Pferde durch das Stadttor führten, sah Romilly eine große Zahl von Zelten, Männern und Pferden. »Was ist das?« fragte sie, und eine der Frauen, die jeden Morgen ausging, um frische Milch und Obst einzukaufen, berichtete: »Das ist die Vorhut von Carolins Armee. Sie schlagen ihr Lager auf, und von hier aus ziehen sie wieder hinunter auf die Ebenen von Valeron, um gegen König Rakhal zu kämpfen.« Sie verzog angewidert das Gesicht und spuckte aus. »Dann bist du eine Parteigängerin Carolins?« fragte Romilly. »Eine Parteigängerin Carolins? Das bin ich!« erklärte die Frau leidenschaftlich. »Rakhal hat meinem Vater seinen kleinen Hof in den Venzabergen genommen und das Land einem Friedensmann dieses gierigen Teufels Lyondri Hastur gegeben! Mutter starb, kurz nachdem wir unsern Besitz verlassen hatten, und Vater ist in Carolins Armee. Morgen reite ich hinaus, wenn Clea mir Urlaub gibt. Ich will versuchen, meinen Vater zu finden. Vielleicht hat er Nachricht von meinen Brüdern, die geflohen sind, als wir von unserm Land verjagt wurden. Ich bin hier bei der Schwesternschaft, weil meine Brüder mir kein Zuhause mehr bieten konnten. Sie hätten mir einen Mann zum Heiraten gesucht, doch der, auf den ihre Wahl fiel, war einer, den Lyondri und sein Herr Rakhal in Frieden gelassen hatten. Ich wollte aber keinen Mann heiraten, der zufrieden in seinem Haus saß, während mein Vater vertrieben worden war!«
»Das kann man dir nicht verdenken, Marelie«, sagte Romilly. Sie dachte an ihre Reise durch die Hellers mit Orain und Carlo und den anderen Flüchtlingen, Alaric, der von Lyondri Hastur noch mehr zu erleiden gehabt hatte als Marelies Familie. »Auch ich bin für Carolin, obwohl ich gar nichts über ihn weiß, außer daß Männer, deren Urteil ich traue, ihn einen guten Mann und einen guten König nennen.«
Ob Orain und Dom Carlo im Lager waren? Sie könnte mit Marelie gehen, wenn diese nach ihrem Vater fragte. Orain war ihr Freund gewesen, obwohl sie eine Frau war, und sie hoffte, er war heil durch die Kämpfe des Winters gekommen. »Seht!« Clea zeigte mit der Hand. »Da ist das Hastur-Banner in Blau mit der silbernen Tanne. König Carolin ist im Lager – der König selbst!«
Und wo Orain ist, ist Carolin nicht weit, erinnerte Romilly sich. Jener Abend in der Kneipe, als sie die Gäste hatte ablenken müssen, war die schattenhafte Gestalt,
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