Herrin der Falken - 3
wüßte, daß ich ihr kein Leid antun will. Sie zog an den geschlitzten Riemen, die um die Ständer des Falken gewunden waren. Ganz tief unten in ihrem Bewußtsein, sorgfältig abgeschirmt durch die besänftigenden Gedanken, die sie dem Falken zusandte, wehrte sich Romillys eigene Angst gegen das, was sie tat. Einmal hatte sie gesehen, wie ein junger Falkner ein Auge verlor, als er zu nahe an den Schnabel eines verängstigten Vogels kam. Aber sie befahl der Furcht, still zu sein und sich bei dem, was sie zu tun hatte, nicht einzumischen. Wenn der Falke Schmerzen litt, machte das seine Angst und seine Raserei um so schlimmer. Romilly fummelte mit einer Hand im Halbdunkeln herum und segnete die ständigen Übungen, bei denen sie alle Falkenknoten mit verbundenen Augen und einer Hand zu schlingen gelernt hatte. Der alte Davin hatte immer wieder und wieder betont: Die meiste Zeit wirst du dich in einem dunklen Raum befinden und eine Hand für deinen Falken brauchen. Und so hatte sie Stunde um Stunde diese Knoten um Zweige geknüpft und gelöst, bevor sie in die Nähe der dünnen Ständer eines Vogels gelassen worden war. Das Leder war feucht vom Schweiß ihrer Finger, aber es gelang ihr, es ein bißchen zu lockern – nicht zu sehr, denn sonst würde der Vogel die Fesseln abstreifen und frei fliegen, sich vielleicht die Schwingen an den Wänden des Stalles brechen –, aber doch so, daß sie nicht mehr in die lederige Haut des oberen Beins einschnitten. Dann bückte sich Romilly, hob den ins Stroh gefallenen Fleischstreifen auf und wischte den Schmutz davon ab. Sie wußte, es kam gar nicht so sehr darauf an – Vögel mußten Schmutz und Steine schlucken, um ihre Nahrung im Kropf zu zermahlen. Aber die dreckigen Strohhalme, die an dem Fleisch klebten, widerten sie selbst an. Sorgfältig zupfte sie sie ab und streckte ihre behandschuhte Hand von neuem dem Falken auf dem Block hin. Würde der Vogel jemals von ihrer Hand kröpfen? Nun, sie mußte einfach hierbleiben, bis der Hunger die Furcht überwand und der Vogel das Fleisch nahm. Andernfalls würden sie auch diesen Falken verlieren. Und Romilly war entschlossen, das nicht zuzu
lassen.
Sie war jetzt froh, daß sie den anderen Vogel freigelassen hatte.
Vor drei Tagen hatte der alte Davin zwei Falken gefangen und
Romilly versprochen, einen dürfe sie abtragen, während er sich mit dem anderen beschäftigte. Aber dann war das Sommerfieber nach Falkenhof gekommen, und auch Davin war krank geworden. Heute morgen hatte Romilly ihn gefunden, wie er sich stöhnend umherwarf. Er hatte ihr befohlen, die Falken freizulassen. Sonst würden sie verhungern, denn sie nahmen noch keine Nahrung von einer menschlichen Hand. Es würde andere Gelegenheiten, andere Falken geben. Trotzdem hatte Romilly anfangs gemeint, beide Falken retten zu können. Denn es waren wertvolle Vögel, die feinsten Verrin-Falken, die Davin seit vielen Jahreszeiten gefangen hatte. Das wurde Romilly so richtig klar, als sie den größeren der beiden aufließ. Ein Falke wie dieser war unbezahlbar – König Carolin in Carcosa hatte keine besseren Vögel, hatte Davin gesagt, und er mußte es wissen. Romillys Großvater war vor der Rebellion, die König Carolin in die Hellers und wahrscheinlich in den Tod sandte, Falkenmeister Carolins gewesen. Der Usurpator Rakhal hatte die meisten von Carolins Männern auf ihre eigenen Güter zurückgeschickt und sich mit Leuten umge
ben, denen er trauen konnte.
Es war sein eigener Schaden gewesen. Romillys Großvater war
vom Kadarin bis zum See von Dalereuth als der beste Falkner
der Kilgardberge bekannt. Er hatte alle seine Künste an Mikhail, jetzt der MacAran, und seinen nichtadligen Cousin Davin
Falkenmeister weitergegeben. Verrin-Falken, voll ausgewachsen in der Wildnis gefangen, waren widerspenstiger als Nestlinge. Ein Wildfang mochte verhungern, bevor er Atzung von
der Hand nahm. Besser sollte er frei fliegen, um andere von der
gleichen guten Rasse auszubrüten, als ungezähmt vor Furcht
und Hunger im Stall zu sterben.
Deshalb hatte Romilly bedauernd den größeren Vogel aus dem
Falkenhaus geholt und die Fesseln von der lederigen Haut
seiner Ständer gestreift. Von einem hohen Felsen hinter den
Ställen hatte sie ihn fliegen lassen. Tränen verschleierten ihren
Blick, als der Falke außer Sicht verschwand. Etwas tief in ihrem
Inneren war mit ihm geflogen in der wilden Ekstase des Aufsteigens, Kreisens, frei, frei… Einen Augenblick lang sah
Romilly das schwindelerregende
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