Herrin der Falken - 3
tat ihr nicht leid – zuletzt hätte sogar ein Hund schon sehr hungrig sein müssen, um es zu fressen, und ganz bestimmt hätte jeder Falke über das Zeug den Schnabel gerümpft. Am fünften Abend hatte sie nur ein paar Nüsse, die sie an verlassenen Bäumen fand, und holzige Pilze zum Abendessen. Vielleicht konnte sie morgen Vögel mit der Schlinge fangen, oder sie traf jemanden, der ihr sagte, ob sie wieder auf der Straße nach Nevarsin war. Doch das glaubte sie nicht, denn diese Straße wurde immer schlechter, war immer weniger ausgebessert worden. Wenn sie sich tatsächlich der größten Stadt in diesen Bergen näherte, hätte sie längst auf vielbenutzte Straßen und bewohnte Landstriche stoßen müssen!
Auch der Hundekuchen war alle. Deshalb machte Romilly ein paar Stunden vor Sonnenuntergang halt, um ihr Pferd eine Weile grasen zu lassen. Glücklicherweise blieb das Wetter gut, und sie konnte im Freien schlafen. Sie hatte das Reisen sehr satt, aber jetzt konnte sie nicht einmal mehr nach Hause zurückkehren, wenn sie es gewollt hätte – sie hatte keine Ahnung, wo es nach Falkenhof ging. Um so besser, daß alle Verbindungen zu ihrer Heimat zerrissen waren. Sie schlief schlecht, hungrig und frierend, und erwachte früh. Von einer Straße war kaum noch die Rede… ob sie ein Stück umkehrte und versuchte, eine häufiger benutzte Strecke zu finden? Sie umwickelte ihre Füße mit Lappen, denn die Stiefel scheuerten, Fersen und Zehen waren wund. Hoch am Himmel kreiste ein einzelner Falke – warum war nie mehr als einer auf einmal zu sehen? Hielten sie Jagdgebiete ein wie andere Tiere?
Und wieder dieses seltsame Gefühl, als sähe sie mit den Augen des Falken. War das ihr Laran? Sie dachte an Preciosa. Preciosa, fort, frei, verloren. Seltsam, sie fehlt mir mehr als Vater und Brüder und Heimat.
Die Zeit der Obstreife war vorbei. Trotzdem fand sie ein paar kleine Früchte, die noch an einem Busch hingen, aß sie und wünschte, es wären mehr. Es gab einen Baum, von dessen abgeschälter Rinde sie die weichen inneren Fasern essen konnte, doch so hungrig war sie noch nicht. Sie sattelte ihr Pferd und war müde, trotz ihres langen Schlafs. Allmählich kam ihr die Einsicht, daß sie in diesen einsamen und völlig unbewohnten Wäldern sogar sterben konnte. Aber vielleicht begegnete sie heute jemandem und fand den Weg nach Nevarsin wieder oder traf auf irgendein kleines Dorf, wo es Essen zu kaufen gab. Nachdem sie eine Stunde geritten war, gabelte sich der Weg. Unschlüssig hielt Romilly an. Hunger und Erschöpfung quälten sie. Sollte ihr Pferd eine Weile grasen, während sie auf den nahegelegenen kleinen Hügel stieg und Ausschau hielt, ob sich eine menschliche Behausung entdecken ließ, und wenn es der Rauch vom Feuer eines Holzfällers oder die Hütte eines Hirten war! In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie so allein gefühlt. Natürlich nicht. Ich bin ja auch noch nie so allein gewesen, dachte sie mit grimmigem Humor und kletterte mit schmerzenden Knien den Hügel hinauf.
Ich habe seit Tagen nichts Rechtes mehr gegessen. Ich muß heute abend irgendwie Essen und Feuer finden, was auch daraus entstehen mag. Fast wünschte sie, bei Rory und seiner abscheulichen Großmutter geblieben zu sein. Dort hatte sie wenigstens ein Feuer und Essen gehabt. Wäre es wirklich so schlimm gewesen, diesen Tölpel zu heiraten?
Lieber möchte ich in der Wildnis sterben, sagte sie sich entschlossen. Aber sie war verängstigt und hungrig, und von dem Hügel aus sah sie nichts anderes als Bäume. Weit weg im Nordwesten, gerade noch zu erkennen, erhob sich ein Berg, und die hellen Flecken ringsum mußten schneebedeckte Gipfel sein. Das waren die Hellers, gegen die das Vorgebirge hier nur aus Erdklümpchen bestand, und jenseits davon lag der Wall um die Welt, der, soviel sie aus Erzählungen von Reisenden wußte, unpassierbar war. Zumindest war niemand, den sie kannte, je auf der anderen Seite gewesen, und auf jeder Landkarte, die sie gesehen hatte, markierte er die Grenze des bekannten Landes. Einmal hatte sie ihre Erzieherin gefragt, was hinter dem Wall liege.
»Die Eiswüste«, hatte die Erzieherin geantwortet. »Kein Mensch kennt sie.« Damals war es für Romilly ein fesselnder Gedanke gewesen. Jetzt hatte sie reichlich genug davon, in unbekanntem Land umherzuirren, und hätte irgendwelche menschliche Gesellschaft begrüßt.
Allerdings erfüllte sie das, was sie bereits erlebt hatte, nicht mit viel Hoffnung auf die Menschen,
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