Herrin der Falken
gepflegt. Es ist traurig, daß Euer Sohn fern von Vater und Mutter sterben mußte, aber bei meiner Ehre, Alaric, mein Vater trägt keine Schuld daran.«
»Und was ist mit meiner armen Frau, die sich bei der Nachricht von seinem Tod aus dem Fenster stürzte.«
»Das wußte ich nicht.« Tränen glitzerten in Caryls Augen. »Meine eigene Mutter war außer sich vor Leid, als mein Bruder starb. Aus Furcht, sie könne sich etwas antun, wagte ich nicht, sie aus den Augen zu lassen. Es tut mir leid – oh, es tut mir so leid, Master Alaric.« Er schlang seine Arme um den Mann. »Wenn mein Vater das wüßte, würde er Euch bestimmt nicht verfolgen und Euch Euren Groll auf ihn nicht verübeln!«
Alaric schluckte. Unbeweglich stand er in der Umarmung des Jungen. »Gott gebe, daß mein eigener Sohn mich so verteidigt! Aus deiner Loyalität gegenüber deinem Vater kann ich dir keinen Vorwurf machen, mein Junge. Ich werde Lord Orain helfen, dich sicher zu ihm zu bringen.«
Orain stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Er sagte: »Wir werden dich nicht ohne eine Armee hinter dir in die Gefahren des Tieflands senden, Alaric; du bleibst hier. Aber in der Stadt ist ein Haus der Schwesternschaft vom Schwert. Meine Cousine ist eine der Schwertfrauen, und wir können zwei oder drei anwerben, den Jungen sicher nach Thendara zu bringen. Ich werde mit Dom Carlo darüber sprechen, Caryl, und vielleicht kannst du schon übermorgen abreisen. Außerdem werden wir deinem Vater einen Briefvogel mit der Nachricht nach Hali schicken, daß du gesund und mit einer Eskorte unterwegs bist.«
»Ihr seid gut zu mir, Lord Orain«, erklärte Caryl schlicht. »Ich habe diese Reise genossen, aber ich denke ungern an den Gram
meines Vaters und den meiner Mutter, wenn sie erfährt, daß
ich nicht mehr in Nevarsin bin.«
»Ich werde mich darum kümmern, sobald wir im Gasthof sind«, versprach Orain und ritt auf ein langes, niedriges Gebäude zu. Es hatte auf der Rückseite Ställe und über dem Tor ein Schild mit einem unbeholfen gemalten Falken. »Hier im ›Falken‹ können wir nach dem anstrengenden Ritt durch die Schneeberge gut essen und schlafen. Und wie viele von euch werden auch baden wollen? Es gibt heiße Quellen in der Stadt, und ein Badehaus ist keine zehn Häuser entfernt.“
Das rief neues Jubelgeschrei hervor. Nur Romilly dachte traurig, daß es ihr nichts nütze. Sie konnte sich nicht in ein Badehaus für Männer wagen, und dabei fühlte sie sich so schmutzig und hätte sich so gern gesäubert! Nun, es half nichts. Sie überzeugte sich, daß die Pferde und Chervines gut untergebracht wurden und versorgte die Kundschaftervögel. Nachdem sie sich Gesicht und Hände gewaschen hatte, so gut es ging, begab sie sich in den Speiseraum des Gasthofes, wo ein gutes Essen aufgetischt wurde. Orain hatte für alle Schlafzimmer genommen und den besten Raum im Haus dem kleinen Caryl zugeteilt, wie es seinem Rang zukam.
»Und du bist eingeladen, mein Quartier mit mir zu teilen, Rumal.«
»Das ist freundlich von Euch«, antwortete Romilly vorsichtig, »aber ich möchte im Stall bei meinen Schützlingen bleiben. Die Kundschaftervögel könnten an einem fremden Ort unruhig werden.«
Orain zuckte die Schultern. »Wie du willst. Aber beim Essen möchte ich mit dir noch über etwas anderes reden.“
»Jawohl, Sir.«
Das Essen bestand aus frischgebackenem Brot und gebackenen Wurzeln, dick und golden, gebratenem Geflügel und einem Gemüse-Eintopf. Alle hieben nach der spartanischen Ernährung auf der langen Reise gewaltig ein, und Orain hatte auch reichlich Wein und Bier bestellt. Caryl verweigerte er den Wein auf freundliche, väterliche Weise, und er bedachte Romilly mit einem Stirnrunzeln, als sie nach dem zweiten Becher greifen wollte.
»Du weißt genau, daß du soviel nicht verträgst«, schalt er. »Kellner! Bringt den beiden Jungen Apfelwein mit Gewürzwurzel.“
»Na, Mutter Orain«, neckte Alaric, dies eine Mal guter Laune, »werdet Ihr sie auch zu Bett bringen und ihnen ein Wiegenlied singen, während wir übrigen uns im Badehaus den Reisestaub abspülen?«
»Nein«, antwortete Orain, »ich gehe mit euch ins Badehaus.“
»Und gleich danach ins Freudenhaus!« rief einer der Männer und nahm sich einen großen Löffel voll von dem geschmorten Obst, das den Nachtisch bildete. »Ich habe seit – Zandru weiß, wie lange – keine Frau mehr angesehen!«
»Aye, und ich habe mehr vor, als sie anzusehen«, prahlte ein zweiter.
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