Herrin der Falken
dem Brauch der Bergbewohner. »Reite mit den Göttern, mein Junge, und mögen sie alle mit dir und Romilly sein.«
Nur Romilly bemerkte die Spannung in Jannis Unterkiefer und das Zittern in ihren Augen. Sie wußte, was Janni dachte. Die Götter mögen dich schützen, Mädchen, und dich aus Lyondri Hasturs Händen sicher zu uns zurückgeleiten.
Romilly stieg in den Sattel. Ihre Sinne hatten eine Schärfe wie sonst nur im Rapport mit ihrem Falken, wenn sie mit ihrem Laran, nicht mit ihren Augen sah. Sie blickte zu dem klaren hellen Himmel auf und zu dem Zelt der Schwesternschaft hinüber. Sie hörte das dumpfe Klappen der Holzschwerter, mit denen Mhari und Lauria übten. Zwei andere Frauen vollführten langsam und sorgfältig die Bewegungen des waffenlosen Kampfes in dem tanzähnlichen Ritual, das ihren Muskeln blitzschnelle Abwehrreaktionen anerzog. Von dem Frühstücksfeuer stieg noch Rauch auf, und Romilly erschrak. Rauch, ohne daß gekocht wurde? Dann erinnerte sie sich, daß sie sich hier nicht im Wald befanden und auf dieser grünen Wiese keine Gefahr eines Brandes bestand.
Sie hatte sich hübsch gemacht. Ihr Mantel war der, den Orain für sie auf dem Markt in Nevarsin gekauft hatte. Auch wenn ihr das Herz jetzt über seinem Geschenk weh tat, hatte sie doch nichts, was annähernd so gut oder so warm war. Die Jacke hatte sie sich geliehen; es war die sauberste, die bei allen Schwertfrauen zu finden gewesen war. Romilly war sich der noch schmerzenden Ohrringe bewußt, die ihr kurzes Haar erbarmungslos enthüllte. Ich bin, was ich bin, sagte sie trotzig zu sich selbst, eine Frau der Schwesternschaft vom Schwert – allerdings noch nicht sehr gut mit dem Schwert-, und Lyondri Hastur soll in mir ja nichts anderes sehen als eine Gesandte unter Waffenstillstandsflagge. Warum mache ich mir Gedanken darüber, ob ich wie eine Lady aussehe? Was bedeutet Lyondri mir? Und doch sprach eine kleine Stimme, die wie die Luciellas klang, in ihren Gedanken mit strengem Vorwurf: Romy, schäm dich, Hosen und Stiefel und im Reitsitz wie ein Mann. Was würde dein Vater sagen? Wütend befahl sie der Stimme zu schweigen.
Sie trieb ihr Pferd mit einem kurzen Zungenschnalzen an und nickte Caryl zu, der sein Reittier in leichten Trab fallen ließ und an ihre Seite kam.
Hali war eine Stadt ohne Mauern, und die breiten Straßen fühlten sich unter den Füßen unheimlich glatt an. Caryl erzählte, sie seien ohne Hilfe von menschlichen Händen mit Matrix-Technik angelegt worden. »Es ist wahr, Romy!« beteuerte er, als sie skeptisch dreinblickte. »Vater hat mir einmal gezeigt, wie das funktioniert. Die Steine werden mit den großen Matrix-Gittern von zehn oder zwölf Leroni oder Laranzu’in gelegt. Eines Tages werde ich auch ein Zauberer sein und mit den Relais und Schirmen arbeiten!«
Romilly war immer noch ungläubig, aber es hatte keinen Sinn, etwas anzuzweifeln, das das Kind von seinem Vater gehört hatte. Deshalb schwieg sie still.
Caryl führte sie durch die Straßen, und sie mußte sich zusammennehmen, um nicht zu gaffen wie ein Bauer, der geradenwegs vom Land hereinkommt. Nevarsin war eine schöne Stadt und Caer Donn auch, aber Hali war ganz anders. Dort gab es steile, mit Kopfsteinen gepflasterte Straßen und Steinhäuser, die sich unter den Klippen der Hellers oder der Burg Aldaran eng zusammendrängten. Doch hier waren die Straßen breit, die niedrigen Gebäude standen frei. Romilly kannte nur festungsähnliche Bauwerke und fragte sich, wie die Bürger nachts ruhig schlafen konnten. Die Stadt hatte ja nicht einmal Mauern! Und die Leute, die auf diesen Straßen umhergingen, schienen einer anderen Rasse anzugehören als das Bergvolk, das kräftig gebaut war, sich vor der bitteren Kälte mit Pelzen und Leder schützte und hart und grimmig wirkte. In dieser schönen Tiefland-Stadt waren Männer und Frauen elegant gekleidet. Die Frauen trugen gestickte Jacken und bunte Röcke und Schleier, die Männer lange Jacken und Hosen aus gefärbtem Stoff. Die leichten Mäntel mit ihren leuchtenden Farben schienen eher dem Schmuck als dem Gebrauch zu dienen.
Ein paarmal blieben Leute auf der Straße stehen und starrten auf das flammendrote Haar des Jungen und die schlanke junge Frau in Hosen, die die Ohrringe und die rote Jacke der Schwesternschaft und einen altmodischen Mantel aus hausgewebtem Tuch nach der Art des Berglandes trug. Caryl sagte halblaut: »Sie erkennen mich. Und wegen deines roten Haars halten sie auch dich für eine aus
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