Herrin der Falken
Karten in ihren Schulbüchern ausgebreitet, nur farbig und seltsam scharf, gesehen durch schärfere Augen als ihre eigenen, und von hier und da kam ein kleines Lebensflackern, kleine Vögel in der Luft, kleine Tiere im Gras…
Preciosa! Der Falke war immer noch in Rapport, der Falke war nicht davongeflogen! Darren sagte etwas; Romilly hörte es nicht. Alderic riet seinem Freund: »Verschwende deine Stimme nicht, bredu, sie kann dich nicht hören. Sie ist mit dem Falken…»
Romillys Körper saß in altgewohnter Haltung im Sattel, aufrecht, stumm, aber ihr wirkliches Selbst flog über die hochgelegene Alm, der Ekstase des Fluges hingegeben. Ihre Sinne waren übernatürlich scharf, sie war sich des Lebens kleiner Vögel bewußt, und sie merkte, daß sie mit den Lippen schmatzte. Es war so absurd, daß sie fast gekichert und den Rapport unterbrochen hätte, dieser plötzliche brennende Hunger und ein in seiner Wildheit fast sexuelles Verlangen… hinunter. Hinunter auf starken Schwingen, der Schnabel schlägt zu, Blut strömt in ihren Mund, ein plötzliches Umschlagen des Lebens in den Tod…
Hinunter. Schwankend hinunter. Romilly hatte sich gerade noch genug eigenes Bewußtsein bewahrt, daß sie ihre Faust unter dem Ruck des mit seiner Beute landenden Falken ganz ruhig hielt. Tränen strömten ihr übers Gesicht, aber es war keine Zeit, sich Gefühlen hinzugeben. Ihr Messer war in ihrer freien Hand. Sie schnitt den Kopf ab, stopfte ihren Anteil, das kopflose Kaninchen, in die Jagdtasche. Aber ihre Gedanken nahmen daran teil, wie der gierige Falke seinen Anteil verschlang. Alderic hatte seinen Falken aufgelassen. Romilly merkte nichts davon. Sie weinte vor Liebe und Erleichterung. Dann streifte sie Preciosa die Haube wieder über den Kopf. Preciosa war zurückgekommen, aus freiem Willen, aus der Freiheit zu Banden und Haube. Romilly würgte das Schluchzen hinunter und streichelte den Falken mit der Spinnfeder. Knie und Hände zitterten ihr.
Was habe ich getan, um das zu verdienen? Wie kann ich dessen jemals würdig werden? Ein wildes Tier hat seine Freiheit für mich aufgegeben. Was kann ich nur tun, um mich dieses Geschenkes würdig zu erweisen?
Später aßen sie die Äpfel und Süßigkeiten, die Romilly mitgenommen hatte. Dann ritten sie durch den heller werdenden Tag nach Falkenhof zurück. Im Hof angekommen, sahen die jungen Leute, daß fremde Pferde abgesattelt wurden, eins mit dem Banner Aldarans von Scathfell. Also war der Höchstgeborene der Gäste da.
Alderic erkundigte sich besorgt: »Ist der alte Lord Gareth noch Herr von Scathfell?«
»Nein, mein Lord. Gareth von Scathfell ist nicht älter als neunundvierzig«, antwortete Romilly. Alderic wirkte erleichtert, und Romilly bemerkte den fragenden Blick zwischen Darren und Alderic. Alderic sagte kurz: »Er könnte mich durchaus vom Ansehen her kennen.«
»Hast du kein Vertrauen in die Gesetze der –« begann Darren, sah stirnrunzelnd in Romillys Richtung und brach ab. Romilly, den Kopf über ihren Falken geneigt, dachte: Für wie dumm halten die mich eigentlich? Ich müßte taub, blind, stumm und noch dazu kopfblind sein, wenn ich nicht merkte, daß er in Verbindung mit Carolin im Exil steht. Vielleicht ist er der junge Prinz selbst. Und ich weiß ebensogut wie er, daß mein Vater davon nichts erfahren darf.
»Das mag schon sein. Der alte Gareth ist vor drei Wintern gestorben«, berichtete Darren, »und er war halb blind. Werden alle Leute von Scathfell hier sein, Romilly?“
Froh, daß der Augenblick des Unbehagens vorüber war, zählte Romilly die erwachsenen Söhne und Töchter des im mittleren Alter stehenden Herrn von Scathfell auf. Sein Erbe, ein weiterer Gareth, Dom Garris ist nicht verheiratet. Er hat drei Frauen beerdigt. Ich glaube, er steht erst im dreißigsten Jahr, sieht jedoch älter aus, und er hinkt wegen einer zehrenden Krankheit in einem Bein.«
»Und Ihr verabscheut ihn«, stellte Alderic fest. Romilly zeigte ihr koboldhaftes Grinsen. »Wie habt Ihr das nur erraten, Lord Alderic? Aber es stimmt. Ständig grapscht er in den Ecken nach den Mädchen. Er hat sich voriges Jahr nicht einmal entblödet, Mallina zu befummeln, die noch zu jung war, um ihr Haar aufzustecken…«
»Geiler alter Bock!« erklärte Darren. »Hat Vater es erfahren?“
»Keiner von uns wollte Streit mit Nachbarn. Luciella hat Mallina und mir nur gesagt, wir sollten uns von ihm fernhalten, wenn wir es tun könnten, ohne unhöflich zu sein. Dann ist da Dom Edric,
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