Herrin der Falken
der blind ist, und seine Frau Ruanna, die die Rechnungsbücher so gut wie ein Mann führt. Und die jungen Zwillinge, Cathal und Cinhil, aber gar so jung sind sie nicht mehr – sie sind in Ruyvens Alter, zweiundzwanzig. Und Cathals Frau, die eine meiner Kindheitsfreundinnen war – Darissa Storn. Cinhil ist nicht verheiratet, und Vater sprach einmal davon, uns miteinander zu verloben. Doch es wurde nichts daraus, was mich sehr freute. Ich möchte nicht in Scathfell leben, das ist wie eine Räuberburg! Wiederum wäre es mir nur recht, mit Darissa zusammen zu sein, und Cinhil ist ein netter Junge.«
»Mir scheint, Ihr seid noch zu jung, um verheiratet zu werden«, meinte Alderic, und Darren lachte. »Die Mädchen in diesen Bergen heiraten früh, und Romilly ist fünfzehn. Und ich zweifele nicht daran, sie kann es kaum abwarten, über ein eigenes Heim zu herrschen und Luciellas Aufsicht zu entkommen. Wie lautet doch das alte Sprichwort? Wo zwei Frauen ein Herdfeuer regieren, kann das Strohdach von den fliegenden Funken in Brand geraten. Trotzdem finde ich, Vater könnte für Romilly etwas Besseres finden als einen jüngeren Sohn, noch dazu einen vierten Sohn. Lieber Herrin in einer Hütte als Dienerin in einem Schloß. Und wenn Dom Garris wieder heiratet – oder der alte Scathfell eine Frau nehmen sollte –, wäre Cinhils Frau die geringste von allen, nicht viel besser als die Aufwartung für die übrigen. Darissa war hübsch und lebhaft, als sie verheiratet wurde, und jetzt sieht sie zehn Jahre älter als Cathal aus und ist durch die Geburten ganz aus der Form geraten.«
»Ich habe es gar nicht eilig, zu heiraten«, betonte Romilly.
»Und es gibt Männer genug in diesen Bergen. Manfred Storn ist Erbe von Storn-Höhe, und er ist etwa in Darrens Alter. Deshalb ist es wahrscheinlich, daß Vater mit dem alten Lord Storn sprechen wird, wenn ich alt genug zum Heiraten bin. Die Leute von Hohenklippen werden auch kommen, und sie haben mehrere unverheiratete Söhne und Töchter. Vielleicht wird Rael in diese Sippe einheiraten, oder ich.« Sie zuckte die Schultern. »Was kommt es schließlich darauf an? Die Männer sind alle gleich.«
Alderic lachte. »Daraus erkenne ich, wie jung Ihr seid, Mistress Romilly! Ich hoffe, Euer Vater gibt Euch nicht in die Ehe, bevor ihr alt genug seid, um zwischen dem einen und dem anderen Mann zu unterscheiden. Sonst wacht Ihr eines Tages auf und entdeckt, daß Ihr den allerletzten Mann auf Erden geheiratet habt, den Ihr Euch als Gatten ausgesucht hättet. Sollen wir ins Haus gehen? Die Sonne steht schon hoch, und Eure Stiefmutter sagte etwas von einem Festtagsfrühstück. Und als wir an der Küche vorbeigingen, habe ich gerochen, daß Gewürzbrot gebacken wird!«
Romilly hoffte jetzt nur, unbeobachtet in ihr Zimmer zu gelangen, wo sie vor dem Festmahl baden und sich umziehen mußte. Aber als sie im Flur um eine Ecke bog, rannte sie beinahe mit einem großen, dicklichen, hellhaarigen Mann zusammen. Er mußte aus dem großen Baderaum mit den heißen Becken kommen, die von vulkanischen Quellen gespeist wurden. Er hatte sich in einen losen Mantel gehüllt, und sein Haar war feucht und unordentlich. Offensichtlich hatte er seine Reitmüdigkeit abgespült. Romilly knickste höflich, wie man es sie gelehrt hatte. Dann fiel ihr ein, daß sie Hosen trug – verflucht! Wäre sie einfach weitergegangen, hätte er sie für einen Stalljungen gehalten, der mit irgendeiner Botschaft ins Haus geschickt worden war. Jetzt verzog sich sein blasses, schwammiges Gesicht zu einem von Grübchen begleiteten Lächeln.
»Mistress Romilly!« Sein Blick wanderte an ihren langen Beinen hinauf und hinunter. »Ein unerwartetes Vergnügen. Was du für Beine hast, Mädchen! Und du bist – gewachsen«, setzte er hinzu, die porzellanblauen Augen starr auf die Verschnürung der alten Jacke gerichtet, die über ihren jungen Brüsten klaffte. »Es wird ein Vergnügen sein, heute abend mit dir zu tanzen, nun da ich mit Entzücken habe sehen können, was so viele Frauen sorgfältig vor ihren Bewunderern verbergen.“
Romilly errötete, spürte die sengende Hitze sich bis zu ihren Ohren ausbreiten, zog den Kopf ein und entfloh. Kläglich dachte sie: Nun weiß ich, was Luciella damit meinte, ich sei zu groß, um in Hosen herumzulaufen. Ich hätte ebensogut nackt sein können, so, wie er mich ansah. Ihr ganzes Leben lang hatte sie die Sachen ihres Bruders getragen, so frei von Verlegenheit oder Scham, als sei sie auch
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