Herrin der Falken
bereitstanden. Romilly setzte Preciosa auf die Stange und sattelte ihr Pferd selbst. Sie wollte keinem der Knechte befehlen, gegen sein Gewissen ihrem Vater ungehorsam zu sein, aber sie wollte an diesem Feiertag auch nicht im Damensattel reiten. Wenn ihr Vater sie bestrafte, würde sie es hinnehmen. Es war die reine Ekstase, wieder in richtiger Reitkleidung auf einem Pferd zu sitzen, den kühlen Morgenwind im Gesicht zu spüren und Preciosa, verkappt, aber ganz wach, vor sich auf dem Sattel zu haben. Romilly nahm an dem Vogel ein Gemisch aus Emotionen wahr, die sie nicht identifizieren konnte… es war eigentlich keine Angst, wie sie sie erlebt hatte, auch keine Aufregung. Aber zu ihrer großen Erleichterung war nichts von der furchterregenden Wut dabei, die sie zu Beginn gespürt hatte. Die Wolken lösten sich auf, als sie in die Berge eindrangen, und unter den Hufen ihrer Pferde knisterte es nur ein ganz klein wenig von Rauhreif.
»Wohin sollen wir reiten, Darren? Du kennst diese Berge«, fragte Alderic, und Darren lachte die beiden anderen an. »Frag Romilly, nicht mich, mein-« er hielt unvermittelt inne. Romilly wandte die Augen von ihrem Vogel ab und fing den scharfen, fast warnenden Blick auf, den Alderic seinem jüngeren Freund zusandte. Darren fuhr schnell fort: »Meine Schwester weiß mehr von den Bergen und den Falken als ich, Lord ‘Deric.«
»Hier entlang, schlage ich vor«, sagte Romilly. »Zu der oberen Pferdeweide – da können wir die Falken fliegen lassen, und es wird uns niemand stören. Und im Dickicht sind immer Vögel und kleine Tiere.«
Auf dem Gipfel angekommen, sahen sie auf die Weide nieder, eine breite Strecke Grasland am Hang, hier und da mit Klumpen von wilden Rosen und niedrigem Gehölz bestanden. Ein paar Pferde weideten das büschelige grüne Sommergras ab, und Boden und Zweige waren bedeckt mit blauen und gelben Wildblumen. Insekten summten im Gras. Die Pferde hoben forschend den Kopf. Da sie jedoch nichts sahen, was sie befremdete, fuhren sie fort zu weiden. Ein kleines Stutenfohlen trottete ihnen auf dünnen Beinen entgegen. Romilly lachte, glitt aus dem Sattel und liebkoste das Pferdchen. Es war nicht viel höher als Romillys Schulter.
»Das ist Angel«, erklärte sie den jungen Männern. »Sie wurde im letzten Winter geboren, und ich habe ihr immer Apfelstückchen gegeben – nein, Angel, das ist mein Frühstück.« Mit einem Klaps vertrieb sie die weiche Schnauze von der Tasche, die das Pferd hatte plündern wollen. Dann tat es ihr leid. Sie nahm ihr Messer und schnitt ein kleines Stück Apfel für das Fohlen ab.
»Mehr gibt es jetzt nicht, sonst bekommst du Bauchweh«, sagte sie. Das Pferdchen, das ihr offenbar aufs Wort glaubte, trabte auf seinen langen dünnen Beinen davon.
»Machen wir, daß wir weiterkommen, oder der alte Windy hängt sich an uns«, lachte Romilly. »Er ist hier auf der Weide. Er ist ein zu alter Wallach, als daß die Stuten ihn zur Kenntnis nähmen, und seine Zähne sind fast schon zu schlecht, um Gras zu kauen. Vater wollte ihn im Frühling abtun lassen, doch dann meinte er, er solle noch einen letzten Sommer haben, bevor der Winter kommt. Dann soll er Ruhe finden und mit seinen alten Gelenken nicht noch einen kalten Winter ertragen müssen.«
»Ich werde trauern, wenn mir diese Aufgabe zugeteilt werden sollte«, gestand Darren. »Wie alle haben auf ihm reiten gelernt. Man saß auf ihm wie auf einem Schaukelstuhl.« Trübsinnig sah er zu dem alten, halb blinden Pony hin, das in einer Ecke des Feldes weiches Gras abzupfte. »Ich glaube, Vater hat ihn verschont, weil er Ruyvens erstes Pferd war…«
»Er hatte ein schönes Leben und wird ein gnädiges Ende finden«, sagte Alderic. »Im Gegensatz zu den Menschen erlaubt man Pferden nicht, zu leben, bis sie senil und halb verrückt sind… wenn man mit Menschen ebensoviel Erbarmen hätte, würde jetzt nicht ein Usurpator auf dem Thron in Hali sitzen, und der König wäre nicht auf dem Weg ins Exil.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Romilly. Darren runzelte die Stirn, aber Alderic antwortete: »Ihr seid noch nicht alt genug, um Euch an den Tod König Felix’ zu erinnern? Er war über hundertundfünfzig, ein Emmasca, sehr alt und ohne Söhne. Und er hatte Sinn und Verstand lange überlebt. Deshalb versuchte er, den ältesten Sohn seines jüngsten Bruders auf den Thron zu setzen statt seines nächsten Bruders ältesten Sohn, der der rechtmäßige Erbe war. Und so sitzt jetzt auf dem Thron der
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