Herrin der Finsternis Roman
Illusionen. Schon immer war sie ein pummeliges Mädchen gewesen, das in der Öffentlichkeit keinen Badeanzug tragen wollte. Früher hatte sie Partys gemieden und ihre Periode vorgeschützt, um spöttischen Kommentaren über ihr Gewicht zu entrinnen.
Und wie oft beobachtete sie jetzt die schlanken kleinen putas, die in den Laden kamen und schicke Kleider anprobierten, die sie selber niemals anziehen konnte?
Nur ein einziges Mal wollte sie in eines von Tabithas sensationellen Outfits schlüpfen, ohne dass die Männer sofort wegschauten und nach begehrenswerteren Frauen suchten.
»Wenn du so redest, muss ich dich zwingen, bei mir zu bleiben.«
»Und wenn du mich so anschaust, wirst du mich auch gar nicht los.«
Über ihren Rücken rann ein wohliger Schauer. »Oh, du bist einfach zu gut, um wahr zu sein. Eine innere Stimme flüstert mir zu, ich sollte davonlaufen, bevor es zu spät ist. Du bist doch ein Serienkiller, oder?«
Verwirrt blinzelte er sie an. »Was?«
»Irgendwie erinnerst du mich an diesen Typ im ›Schweigen der Lämmer‹, der eine Frau betört, damit er sie verführen, kidnappen und sich ihre Haut aneignen kann.«
Bestürzt, sogar gekränkt starrte er sie an. Entweder war er unschuldig oder ein grandioser Schauspieler.
»Also wirst du mich nicht nackt in eine Grube werfen und in meiner Babylotion ertränken?«, fragte sie.
Nun lachte er. »Du wohnst in New Orleans. Da kann man nicht einmal ein Grab ausheben. Wo sollte ich in diesem Sumpf eine Grube finden?«
»Es wäre eine oberirdische Grube.«
»Nicht besonders geheimnisvoll.«
»Aber möglich«, beharrte Bride.
Er schüttelte den Kopf. »Gibst du's niemals auf?«
»Hör mal, ich bin Realistin. Erst vor wenigen Tagen wurde mein Herz gebrochen, im Moment will ich mich mit niemandem einlassen. Du bist so nett zu mir. Und ich weiß nicht, warum. Im wirklichen Leben passiert so was nicht. Prince Charming eilt nicht ständig herbei, um arme Mädchen aus höchster Not zu retten. Meistens ist er mit einem verdammt perfekten Aschenputtel und ihren klitzekleinen Füßchen beschäftigt und beachtet un
sereins gar nicht.«
Sie ärgerte ihn, das merkte sie ihm an.
Seufzend griff er nach einem Glas.
Ihr Atem stockte, als sie das seltsame Zeichen auf seiner Hand entdeckte. Letzte Nacht war es noch nicht da gewesen. Sonst hätte sie es gesehen.
Sekundenlang setzte ihr Herzschlag aus. Sie umfasste seine Hand und starrte sie an.
Vane unterdrückte einen Fluch. Verdammt, vor seiner Ankunft im Hinterzimmer hatte er vergessen, das Zeichen verschwinden zu lassen. Er wollte ihr seine Hand entreißen. Doch er konnte sich nicht rühren, während sie seine Handfläche mit ihrer verglich.
»Hast du mich gebrandmarkt, Vane?«
»Nein«, protestierte er, empört über diese Vermutung.
Nun geriet sie in Panik, er roch ihre Angst.
»Bride, ich werde dir nicht wehtun. Das schwöre ich.«
Doch sie glaubte ihm nicht. »Verschwinde!«
Oh, es wurde immer schlimmer. Wie sollte er sie überzeugen?
Sie sprang auf, griff nach dem Besen, der in einer Zimmerecke lehnte, und schwenkte ihn in Vanes Richtung. »Raus!«, schrie sie.
»Hör mir zu, Bride!«
»Nein! Verschwinde, oder ich – ich rufe die Polizei!«
Was jetzt geschah, war wirklich des Letzte, was er brauchte. Aber vielleicht sollte es so sein. Wenigstens wurde er nicht von einer Frau, die ihn hasste und für verrückt hielt, in Versuchung geführt.
Er verließ das Apartment, und sie versperrte die Tür hinter ihm. »Bitte, Bride!«, rief er und schaute durch die Fensterscheibe. »Lass mich hinein!«
Ratternd fiel die Jalousie hinab. Die Stirn an das kühle Glas gelegt, focht er einen inneren Konflikt aus, der seine Selbstkontrolle bedrohte. Sein tierisches Wesen begehrte Bride, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen. Und die menschliche Hälfte wusste, eine Trennung wäre besser.
Unglücklicherweise siegte meistens das Tier bei solchen inneren Kämpfen. Und das war in fast allen Fällen am besten. Diesmal nicht. Seufzend vergewisserte er sich, dass er allein war, und nahm seine Wolfsgestalt an. Fury würde hoffentlich nicht als Wolf zurückkehren und Vanes Tarnung auffliegen lassen.
Einen Wolf mochte Bride vor ihrer Tür akzeptieren, aber zwei – das wäre zu viel des Guten.
Zitternd vor Entsetzen, stand Bride mitten in ihrem Zimmer und umklammerte den Besen. Sollte sie ihre Eltern anrufen? Nein, sie wollte Mom und Dad nicht erschrecken. Außerdem wohnten sie zu weit entfernt. Wenn sie hier
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