Herrin der Lüge
es war zwecklos. sich für einen geübten Faustkämpfer auszugeben. Falls sie kamen, um ihn zu richten, würde er ihnen nichts entgegenzusetzen haben.
Das Scharren und Schaben am Eingang brach ab. Nicht die Tür ging auf, sondern eine kleine Luke auf Augenhöhe. Eine Silhouette schob sich vor flackerndes Fackellicht.
»Dein Name?«, fragte eine weibliche Stimme.
Er gab keine Antwort, versuchte erst zu erkennen, wer da zu ihm sprach. Er hatte Wächter erwartet wie jene, die ihn hergebracht hatten. Aber eine Frau?
»Dein Name!« Diesmal war es keine Frage mehr, sondern ein barscher Befehl.
»Faun.«
»Du bist der Sohn der Gauklerfamilie, nicht wahr?«
Sein Gefühl sagte ihm, dass sie all das bereits wusste. Zweifel schienen dieser Stimme fremd zu sein, sie klang fest wie Granit. Sehr fraulich und doch so scharf und gläsern wie ein Eiszapfen.
»Ja«, sagte er und fügte rasch hinzu: »Egal, was mir vorgeworfen wird, ich habe nichts –«
Sie unterbrach ihn. »Ich weiß genau, was du getan hast. Drei Händler haben Klagen gegen dich vorgebracht.«
Drei?, durchfuhr es ihn. Also ging es nicht nur um die verdammte Gugel, die er heute Morgen von einem der Marktstände vor dem Burgtor geklaut hatte. Er hatte die Kapuze mit dem angenähten Schulterteil seinem Vater schenken wollen. Sollten sie etwa auch beobachtet haben, wie er das geröstete Huhn und – ja, und die Paar Stiefel …? Sie waren für Saga gedacht gewesen und lagen versteckt am Boden seiner Kiste im Planwagen.
»Meine Männer haben all die Dinge gefunden, die du gestohlen hast«, sagte die Frau. »Sie haben eure Wagen durchsucht, gerade eben erst. Dein Vater schien, nicht gut auf dich zu sprechen zu sein.«
Natürlich, dachte Faun. Sein Vater war niemals gut auf ihn zu sprechen. Faun hatte es mit Zuneigung versucht, mit Nähe, mit besonderem Mut und Arbeitseifer. Zuletzt mit Geschenken. Sein Vater hatte sie angenommen – die Familie war zu arm, um irgendetwas auszuschlagen, für das sie nicht bezahlen musste –, aber seine Abneigung gegen Faun hatte sich dadurch nicht gelegt. Faun war überzeugt davon, dass sein Vater ihn an seinen älteren Brüdern maß. Und dem Anspruch würde er nie gerecht werden. Die beiden waren ermordet worden, als marodierende Söldner während des Bürgerkrieges ein Dorf gebrandschatzt hatten, in dem die Familie gastierte. Ihre Eltern waren mit den Zwillingen entkommen – aber die beiden ältesten Söhne waren ermordet und verbrannt worden. In den Jahren des Krieges zwischen Weifen und Staufern um die Reichskrone waren solche Ereignisse an der Tagesordnung gewesen. Irgendwann hatte niemand mehr gewusst, wem die Soldaten eigentlich gehorchten, die einem das Dach über dem Kopf anzündeten. Für das einfache Volk hatte es ohnehin nie eine Rolle gespielt. Als der Welfe Otto von Braunschweig vor einem Jahr die Kaiserkrone empfangen hatte, war das für die Menschen im Land weder Grund zur Erleichterung noch Wut gewesen; kaum jemand wusste, welcher Seite er in diesem Krieg das eigene Elend zu verdanken hatte. War Otto das geringere Übel? Derzeit stand eher das Gegenteil zu befürchten, denn der Kaiser führte Krieg in Süditalien und scherte sich einen Dreck um Armut und Leid in der Heimat.
Faun versuchte, die Frau hinter der Luke zu fixieren. Doch noch immer sah er sie nur als Schattenriss, als formloses Dunkel auf der anderen Seite der Tür. Er ahnte, wer sie war. Wer sonst hätte die Soldaten meine Männer nennen können, wenn nicht Gräfin Violante selbst? Aber warum zeigte sie Interesse an einem einfachen Dieb?
»Wie werdet Ihr mich bestrafen?«, fragte er.
»Ist dir der Kerker nicht Strafe genug?« Zum ersten Mal lag da eine Spur von Belustigung in ihrer Stimme. Er war nicht sicher, ob er ihre Art von Humor gerne teilen wollte.
»Werdet Ihr mich dem Scharfrichter vorführen lassen?«
»Du hättest es wohl verdient.«
Er griff nach dem Strohhalm, den ihre Wortwahl verhieß. »Aber?«
»Du hast ein hastiges Mundwerk. Ist deine Schwester genauso dreist wie du?«
Faun machte einen Satz nach vorn und stemmte die Handflächen neben die Luke. Die Silhouette zuckte leicht. »Was ist mit ihr? Geht es ihr gut?«
Die Gräfin machte eine lange Pause, ehe er begriff, dass ihr Schweigen die Strafe für seine Ungeduld war.
»Deine Schwester«, begann sie schließlich sehr langsam, »ist ein höchst interessantes Mädchen.«
»Sie hat nichts damit zu tun!«, stieß er hervor. »Es ist wahr, ich habe all diese Dinge
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