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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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einigen Stellen lagen die Fackeln am Boden und beschienen reglose Formen.
    Faun zog Tiessa an die Wand des Schuppens. »Du hast Recht. Wir müssen hier weg. Aber nicht, ohne wenigstens einen Moment lang nachzudenken, wie.«
    Sie schaute zum Tor hinüber. In der Dunkelheit sah es aus, als stünde der eine Flügel einen Spalt weit offen. Vielleicht nur ein Schatten. Vielleicht auch nicht.
    »Sie haben die Männer getötet, die Achard ihnen hinterhergeschickt hat«, flüsterte Tiessa. »Und jetzt sind sie hier. Mindestens zwei von ihnen. Oder alle.«
    Faun konnte sich noch immer nicht vorstellen, dass sie es zu dritt oder viert mit einem Trupp von elf geübten Kriegern hatten aufnehmen können. Aber Veits Leichnam sagte ihm etwas anderes, genau wie die leblosen Menschenbündel oben auf dem Wehrgang.
    »Denk nach«, flüsterte sie, mehr zu sich selbst, als in seine Richtung. »Was werden sie als Nächstes tun?«
    »Uns suchen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Die Burg sichern.« Ihr Blick richtete sich auf den schwarzen Umriss des Wohnturms, drüben auf der anderen Seite des Hofs. Stimmen drangen verzerrt herüber, von den Gebirgswinden zu unverständlichen Silben zerzaust.
    »Dann ist der Weg zum Tor vielleicht frei«, sagte Faun.
    »Vielleicht, ja.«
    »Versuchen wir’s?«
    Ihre Unterlippe zitterte, aber sie nickte. Nach einem letzten Durchatmen setzten sie sich in Bewegung, liefen geduckt an der Vorderwand des Schuppens entlang, dann um die Ecke in noch tieferen Schatten, schließlich an der Burgmauer entlang Richtung Haupttor.
    »Warte«, sagte Faun, als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten. »Was ist mit den Pferden?«
    »Zu weit bis zu den Stallungen.«
    »Aber draußen werden wir froh sein, wenn wir die Tiere dabeihaben. Zu Fuß kommen wir nicht weit, falls sie uns folgen.«
    Vom Turm her ertönte ein Schrei. Faun glaubte erst, ein weiterer Mann sei getötet worden, doch dann entdeckte er die Gestalten, die aus dem Gemäuer ins Freie stürmten. Achard von Rialt stand mitten unter ihnen, reglos wie ein Standbild, während sich die Menge seiner Krieger um ihn teilte und nach allen Seiten ausschwärmte.
    »Das ist Absicht«, flüsterte Tiessa.
    »Absicht?«
    »Die Ritter haben Achard und die anderen herausgelockt Das gehört zu ihrem Plan.«
    »Was für ein Plan soll das sein? Sich möglichst schnell umbringen zu lassen?«
    Sie lief weiter, nun wieder auf das Tor zu. »Faun!«, rief sie über die Schulter. »Beeil dich.« »Wir brauchen die Pferde.«
    »Das ist Wahnsinn!«
    Aber da hatte er sich schon aus dem Dunkel der Mauer gelöst und rannte geduckt auf das Tor des Pferdestalls zu. »Warte draußen! Ich schaff das allein.« Er schaute sich nicht um, weil er inständig hoffte, dass sie blieb, wo sie war. Dann aber hörte er sie schon neben sich, flinker und schneller als er und mit versteinerter Miene, die ihn warnte, nur ja keinen Streit anzufangen.
    In den Stallungen schnaubten und raschelten die Pferde, aber niemand vertrat den beiden den Weg.
    Er erkannte den Grund dafür, als sein Fuß sich in etwas verhakte. Mit einem gepressten Aufschrei fiel er hin und landete auf dem Leichnam eines Pferdeknechts. Überall war Blut.
    Faun fluchte und schlug in Panik um sich, traf jemanden, wehrte sich weiter und begriff erst allmählich, dass es Tiessa war, die verzweifelt versuchte, ihn festzuhalten, damit er sich beruhigte und nicht noch mehr Lärm machte.
    »Tut … tut mir leid«, stammelte er und stand schwankend auf. Seine linke Hand war mit Stroh und Schmutz und Blut verklebt.
    Sie fanden den Schimmel und die dunkle Stute, sattelten sie in Windeseile und führten sie zum Ausgang des Stalls. Aufgebrachte Rufe wehten über den Burghof. Achards Männer hatten begonnen, alle Gebäude auf den Kopf zu stellen und nach den Angreifern zu suchen. Nicht mehr lange, und die ersten würden in den Stallungen auftauchen.
    »Los jetzt«, rief Tiessa und zog sich in den Sattel. Faun brauchte länger, bis er endlich sicher auf dem Rücken der Stute saß. Angespannt ritten sie aus dem Stall und lenkten die Tiere zum Burgtor hinüber.
    »Halt!«, rief jemand.
    Faun wagte nicht, über die Schulter zu blicken. Fackelschein geisterte wild bewegt über die Mauern und Holzwände im Burghof. Schatten zuckten umher.
    »Ihr da! Bleibt stehen!«
    »Heja!«, schrie Tiessa und hieb ihrem Schimmel die Fersen in die Flanken. Das Tier machte einen Satz nach vorn, aber die Bauten im Inneren des Hofs standen zu eng für einen Galopp zum Tor.

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