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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihn mühelos von den Füßen, ein lebender Schutzschild vor seiner Brust. Er presste die Klinge an den Hals des Jungen.
    »Keiner rührt sich!«, rief er über den Hof hinweg, so scharf, dass es das Fauchen der Gebirgswinde durchschnitt. »Achard – sorg dafür, dass deine Männer keinen Fehler machen, sonst stirbt dein Sohn!«
    Achard trat langsam und mit vorgestreckten leeren Händen aus dem Schatten eines Gebäudes, nicht weit vom Fuß des Turms entfernt. Vorsichtig stieg er ein paar in den Fels gemeißelte Stufen empor und blieb unterhalb der Balustrade stehen.
    »Was wollt ihr?«, rief er zu dem Mann hinauf, der das Leben seines einzigen Kindes bedrohte.
    »O nein«, flüsterte Tiessa. Faun hörte es, als sein Pferd neben das ihre trabte. Einen Moment lang hatte er Sorge, der Hufschlag auf dem Weg könnte Grund genug für den Falkner sein, den Jungen zu töten. Doch der Mann auf dem Turm sah nicht zu ihnen herüber, sondern fixierte den Burgherrn.
    »Was soll das?«, raunte Faun Tiessa zu. »Ich denke, die sind hinter dir her?«
    Sie nickte. Ihr Gesicht schien knochiger geworden zu sein, so als wäre sie gerade um Jahre gealtert. »Deshalb haben sie die Männer aus dem Turm gelockt. Nur damit er sich den Jungen schnappen konnte.«
    Faun sah über die Schulter zum Tor. Goldener Fackelschein ließ Schattenrisse über Holz und Mauern zucken. Es war nicht weit bis dorthin. Sie konnten es schaffen. Aber wenn sie die Pferde jetzt herumrissen und losritten – würde der Falkner dann wirklich das Kind ermorden? Herrgott, was hatten sie mit Achards Sohn zu schaffen? Warum sollte diese Drohung sie aufhalten?
    Und doch blieben sie stehen. Gegen alle Vernunft. Vielleicht, wenn Zeit gewesen wäre, um nachzudenken … Aber so starrten beide nur das hilflose Kind im Arm des Ritters an, die scharfe Klinge, die an seiner Kehle lag. Faun war froh, dass die Entfernung so groß war. Aber er musste die Panik in den Zügen des Jungen nicht sehen, um sie zu spüren. Jeder hier auf dem Hof konnte es fühlen. Selbst die abgebrühtesten Räuber hatten die Augen auf den Falkner und seine Geisel gerichtet.
    »Was wollt ihr von mir?«, rief Achard erneut zur Balustrade hinauf. »Warum dringt ihr in mein Haus ein, erschlagt meine Männer und bedroht mein Kind?«
    »Du bist ein Nichts, Achard von Rialt. Du und deine Räuberbande sind nicht wichtig.« Der Mann löste die Klinge vom Hals des Jungen und deutete damit über den Hof. »Diese beiden dort will ich! Und du wirst sie mir geben!«
    Die Bergluft zog sich um Faun zusammen wie eine enge Haut und raubte ihm den Atem. Tiessa hatte schon einen Augenblick vor ihm erkannt, auf was dies alles hinauslief. Wie gut kannte sie diese Männer wirklich? Sie wandte ihm den Kopf zu, kreuzte seinen Blick, aber er nahm es kaum wahr. Wie versteinert saß er im Sattel und starrte zum Turm. Überall auf dem Burghof, auf den Felskuppen und zwischen den Hütten, drehten die Krieger ihnen die Gesichter zu. Achard hätte den Befehl gar nicht aussprechen müssen. Alle wussten, was zu tun war.
    »Haltet sie auf!«, brüllte der Burgherr. »Bringt sie zu mir!«
    Die Männer, die Faun und Tiessa den Weg zum Tor versperrten, reagierten als Erste. Schwert und Axt zuckten in die Höhe. Mit weiten Sätzen eilten sie heran. Einer wollte nach den Zügeln der Stute greifen, aber Faun trat ihm mit der Ferse ins Gesicht und schleuderte ihn zurück.
    Oben auf der Balustrade begann der Junge zu heulen und zu strampeln.
    »Nicht! «, rief Achard zu dem Falkner hinauf. »Tu ihm nichts!«
    Einen Moment lang hatte der Ritter Mühe, das tobende Kind zu halten. Er zog die Klinge zurück, aber der Junge schlug mit der bloßen Hand dagegen und kreischte noch lauter, als die Schneide in seine Finger biss.
    Achard stieß einen Schrei aus, als hätte die Klinge ihn selbst verletzt. Der Falkner fluchte und stolperte einen Schritt zurück, als das Kind mit seinen kurzen Beinen gegen das Holzgeländer trat.
    Chaos brach aus. Überall Geschrei und trampelnde Schritte. Wieder klirrte Eisen, auch das Gefecht am anderen Ende des Burghofs ging weiter. Faun blieb keine Zeit, dorthin zu sehen, denn mit einem Mal befanden er und Tiessa sich im Zentrum des Aufruhrs, während von allen Seiten weitere Männer herbeieilten.
    Tiessas Schimmel stellte sich auf die Hinterbeine, als der Mann mit der Axt nach ihrem Bein greifen wollte. Der Krieger wich taumelnd zurück. Tiessa ließ das Pferd vorwärts sprengen. Es rammte dabei zwei andere Krieger und

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