Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Sie konnten nur hoffen, dass es wirklich ein Stück weit offen stand und sie sich vorhin nicht getäuscht hatten.
    Etwas zischte, dann wurde Faun fast vom Pferd geschleudert. Ein Schlag hatte seine linke Schulter getroffen. Im ersten Augenblick glaubte er, benebelt von Schmerz und Schock, jemand habe eine Lanze nach ihm geschleudert. Er ließ den Oberkörper nach vorn sinken, eng über den Hals des Pferdes, und brachte es irgendwie fertig, das Tier voranzutreiben. Er konnte die Zügel nicht loslassen, um nach der Stelle an seinem Rücken zu tasten, aber es tat schrecklich weh, und er war nicht sicher, ob da etwas in ihm steckte oder was genau es war, das ihn getroffen hatte.
    »Ein Stein!« Tiessa blickte tief geduckt nach hinten. »Einer von ihnen hat eine Schleuder!«
    Er dachte, dass ihm das Geschoss womöglich das Schulterblatt zertrümmert hatte, erkannte dann aber, dass er den Arm bewegen konnte und der Schmerz bereits nachließ. Wahrscheinlich hatte der Mann auf seinen Kopf gezielt.
    Glaubten die etwa, sie hätten die Wächter umgebracht? Nein, wohl kaum. Achard musste Befehl gegeben haben, dass niemand Hoch Rialt verlassen durfte.
    Die Pferde trugen sie um eine Ecke, aus der Schussbahn der Steinschleuder, und nun lag das Tor geradeaus vor ihnen. Nur noch dreißig Schritt über einen Weg, den man zwischen den Felsen und Bauten des Burghofs angelegt hatte.
    Tatsächlich stand einer der beiden Torflügel offen. Ein Angreifer musste über die Mauer gestiegen sein und seine Gefährten eingelassen haben.
    Schwerterklirren übertönte den Hufschlag der Pferde, als nicht weit entfernt ein Kampf entbrannte. Zwischen zuckenden Fackeln und blitzendem Stahl war auf den ersten Blick nicht zu erkennen, wer gegen wen kämpfte. Ein ganzer Trupp aus Gewährsleuten des Raubritters hatte sich um einen oder zwei Gegner geschart. Schreie erklangen. Stahl schlug auf Stahl. Noch mehr Geschrei.
    Auch an anderen Stellen wurde gekämpft, weiter weg vom Tor. Am Fuß des Turms stand jetzt niemand mehr, alle Männer hatten sich im Hof verteilt und suchten im Dunkeln nach Feinden. Faun, der nur kurz nach hinten sah, konnte Achard nirgends entdecken, aber ihm blieb keine Zeit, um abzuwägen, ob das gut war oder schlecht.
    Ein Ruf, der alle anderen übertönte, erschallte quer über den Hof und wurde mehrfach wiederholt. Faun verstand die Worte nicht. Er konzentrierte sich jetzt ganz auf das Tor. Mehrere Männer waren zu Fuß unterwegs dorthin, um den Flügel zu schließen. Einer stellte sich ihnen mit gezogenem Schwert entgegen, ein anderer eilte mit einer Axt an seine Seite. Niemand schien sicher zu sein, wer gegen wen kämpfte. Mordlust stand in den Mienen der Männer, aber auch zornige Verwirrung. Sie mussten wissen, was mit ihren Kameraden auf den Zinnen geschehen war, aber sie wunderten sich wohl auch, ob wirklich zwei Gaukler dafür verantwortlich sein konnten.
    Die Rufe vom Turm her ertönten erneut, und plötzlich kam der Kampf unterhalb der Mauer zum Erliegen. Eine gerüstete Gestalt stieß wütend einen der Räuber von sich und stand schwer atmend inmitten des Pulks. Niemand griff ihn mehr an. Die Kämpfer belauerten einander, blickten aber zugleich auch zum Turm.
    »Was geht da vor?«, keuchte Faun.
    Tiessa zügelte ihr Pferd. »Warte!«, rief sie Faun hinterher.
    »Was?« Sein Blick raste von ihr zum Tor. Dort verharrten jetzt auch die Männer, die den schweren Holzflügel hatten schließen wollen. Er stand noch immer halb offen.
    »Faun – bleib stehen!« Tiessas Schimmel tänzelte angespannt auf der Stelle.
    Seine Schulter pochte, sein Kopf tat weh, alles war Schmerz, aber er war noch genug bei Sinnen, um zu erkennen, dass sie es ernst meinte. Sie verlangte tatsächlich, dass er das Pferd zügelte! Und aus einem Grund, den er selbst nicht recht begriff, gehorchte er. Zwei Pferdelängen von ihr entfernt kam die Stute zum Stehen und ließ sich tänzelnd von ihm herumdrehen.
    Die beiden Männer, die sie eben noch hatten aufhalten wollen, ließen Axt und Schwert sinken. Sie waren nur wenige Schritt von Faun und Tiessa entfernt, aber keiner machte Anstalten, sie anzugreifen.
    Endlich erkannte Faun, wer die Rufe ausgestoßen hatte. Und warum überall im Burghof die Waffen ruhten.
    Oben auf der Holzbalustrade um den ersten Stock des Wohnturms stand der Falkner. In der rechten Hand hielt er das Schwert. In der linken ein Kind.
    Achim von Rialt, Achards Sohn, bewegte sich nicht. Der Falkner hatte den Arm um den Jungen gelegt und hob

Weitere Kostenlose Bücher