Herrin der Lüge
kaum.«
Jorinde blickte verlegen in ihren Schoß. »Achard hat mich selten geschlagen. Eigentlich nie, nachdem unser Sohn geboren worden ist. Der Abend vor unserer Abreise war das erste Mal seit vier Jahren.«
»Er ist ein Ungeheuer.«
»Schlimmer.« Ihr Kopf ruckte hoch, kalter Glanz stand in ihren Augen. »Viele täuschen sich in ihm. Sie halten ihn für einen Räuber, für jemanden, der wehrlose Pilger und Händler ausraubt. Und das ist ja auch wahr – aber es ist nicht alles. In ihm ist noch so viel mehr Bösartigkeit. Manchmal glaube ich, er ist bis zum Bersten voll davon, und all das Schlechte wartet nur darauf, endlich zum Vorschein zu kommen. Ich habe ihn Dinge tun sehen, die … und danach hat er mir erzählt, was er am liebsten wirklich getan hätte.«
»Warum bist du seine Frau geworden?«
»Und du die Magdalena?«
Saga presste überrumpelt die Lippen aufeinander.
Jorinde wich ihrem Blick jetzt nicht mehr aus. »Du hörst nicht wirklich ihre Stimme, oder? Du hörst etwas, aber du weißt nicht, ob es von Gott kommt.«
Saga verschlug es für Sekunden die Sprache. »Woher weißt du das?«
»Du bist nicht so schwer zu durchschauen, wenn man sich nur ein wenig Mühe gibt. Genauso wenig wie Violante.« Ihr Lächeln hellte für einen Moment die Sorgenschatten unter ihren großen Augen auf. Dann wurde sie unvermittelt ernst. »Du musst zu ihnen gehen – zu den Frauen ins Lager. Ihre Angst wird nur von dem unermüdlichen Glauben an die Magdalena in Schranken gehalten.«
Es lag kein Vorwurf in ihrer Stimme, doch Saga trafen die Worte trotzdem.
Sie musterten sich stumm.
Ihr Vertrauen in die Magdalena mag unermüdlich sein, dachte Saga verbittert. Aber an wen glaubt die Magdalena?
Der Hauptmann der erzbischöflichen Garde ließ nicht zu, dass Saga allein den Palast verließ. Er bestand darauf, ihr zwanzig Soldaten zur Seite zu stellen. Saga kam sich albern vor, wie sie inmitten dieses Haufens aus waffenstarrenden Kämpfern durch die Gassen zog. Überall blieben die Menschen stehen und begafften sie. Längst schien jeder in Mailand Bescheid zu wissen, wer sie war; wem in Anbetracht ihrer Jugend und Kleidung Zweifel kamen, wurde spätestens vom Anblick ihrer Kriegereskorte eines Besseren belehrt.
Sie zog den Kopf ein und versuchte, stur geradeaus zu blicken, während sie unter wachsendem Aufsehen die Stadt durchquerte.
Bald glich ihr Ritt eher einem Triumphzug, denn die Menschen am Straßenrand – vor allem die Frauen und Kinder – jubelten ihr zu, sanken auf die Knie zum Gebet oder stimmten fromme Gesänge an. Saga wünschte fast, ein Blitz möge sie aus dem Sattel werfen und dieser ganzen Schmierenkomödie ein Ende bereiten. Aber sie dachte an Jorindes Worte und biss die Zähne zusammen.
Schließlich erreichten sie einen Platz an einem der Stadttore. Mittlerweile war sie dankbar, dass der Hauptmann ihr die Eskorte aufgedrängt hatte. Auf sich allein gestellt wäre sie wahrscheinlich längst zerquetscht worden – oder aber gar nicht erst aufgefallen.
»Saga!« Sie blickte sich um, als jemand ihren Namen rief, nicht das endlose »Magdalena! Magdalena!«, das aus der Menge aufstieg.
Zinder war auf seinem Pferd im Torbogen erschienen, kam aber nicht an sie heran, weil die Soldaten ihn nicht erkannten und gar nicht daran dachten, einen wild gestikulierenden, stoppelbärtigen Haudegen mit silbergrauem Pferdeschwanz bis zu ihr vorzulassen. Sie musste sich ihrerseits aus der Menge zu ihm nach außen drängeln, ehe sie ihre Pferde schließlich inmitten des Chaos nebeneinander zum Stehen brachten.
»Ich habe dich unterschätzt, Mädchen«, rief er ihr zu, um den Lärm zu übertönen. »Du weißt genau, wie man sich angemessen in Szene setzt.«
»Wo ist Violante?«
»Sie hat mich gebeten … ach was, sie hat mir auf ihre liebenswerte Art den Befehl gegeben, dich abzuholen. Du musst sehen, was da draußen los ist. Es ist unglaublich.«
»Ich weiß nicht, ob ich wirklich irgendwas sehen will, das unglaublicher ist als das hier!« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf die betende, flehende, jubilierende Menge.
»Herrgott, Saga, du hast ja keine Ahnung!«
Wenig später musste sie ihm Recht geben. Als sie endlich das ganze Ausmaß dieses Irrsinns und ihres Betrugs erfasste, da wollte sie sich nur noch herumwerfen und weglaufen.
Jenseits der Vorstadt, auf niedergetrampeltem Ackerboden und so weit das Auge reichte, wimmelte es von Menschen. Eine ausufernde Zeltstadt war errichtet worden, braune
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