Herrin der Lüge
die Schar der Frauen, die sich um die drei versammelt hatte.
»Zinder, warte!«, rief Saga, aber dann spürte sie die entgeisterten Blicke der Mädchen auf sich. Sie musste sich beherrschen. Du bist die Magdalena, wisperte es in ihr. Zeig keine Schwäche, sonst zerbricht dies alles bereits hier und jetzt.
Und vielleicht wäre das sogar besser so, meldeten sich ihre Zweifel zu Wort. Aber es war nur ein kurzes Auflodern von Widerstand, ein Aufblitzen ihrer Vernunft.
Du darfst nicht zulassen, dass sie den Glauben an dich verlieren. Du bist die Magdalena. Sie brauchen dich.
Sie blieb stehen, sah mit steinerner Miene zu, wie sich die Menschenmenge um sie schloss und aus Flüstern ein Begeisterungssturm wurde. Immer schneller eilte die Nachricht durchs Lager, dass die Magdalena endlich eingetroffen war.
Berengaria drängte sich neben sie und brüllte dem Begleittrupp Befehle zu. In Windeseile formierte sich ein Spalier. Alles in ihr schrie danach, Zinder hinterherzureiten und die Gräfin zur Rede zu stellen. Aber sie durfte jetzt keine Hast zeigen. Zu große Eile hätte man als Unsicherheit auslegen können. Und wer wollte schon einer Prophetin folgen, die panisch einem gealterten Söldner nachpreschte?
Lächle. Winke ihnen zu. Mach, dass sie dir vertrauen.
Vertrauen ist das Wichtigste.
Sagas erster Triumphzug hatte den Beigeschmack ihrer ersten großen Niederlage.
Zinders Abschied
Berengaria gab ihr Geleitschutz. Saga blieb nichts anderes übrig, als den Anweisungen der Gardeführerin zu folgen. Die Menschenmasse um sie herum ließ ihr gar keine andere Wahl.
Das, was die Befehlshaberin Saga auf dem Weg zeigte, war allerdings erstaunlich. Als sie den großen Übungsplatz im Zentrum des Zeltlagers passierten, sorgte Berengaria mit drakonischem Durchsetzungsvermögen dafür, dass die Schulungen an Schwert und Lanze nicht unterbrochen wurden; stattdessen nutzte sie den Auftritt der Magdalena zu einer Demonstration dessen, was ihr in den vergangenen sechs Wochen gelungen war.
Hunderte von jungen Frauen führten in langen Reihen Scheingefechte gegen unsichtbare Gegner vor, zeigten einstudierte Schrittfolgen, Attacken und Paraden und vermittelten den Eindruck einer echten Armee.
Als sie der Magdalena gewahr wurden, begannen die Menschenmassen auf dem Platz und den umliegenden Zeltstraßen einen unverständlichen Singsang zu intonieren, Lobpreisungen und Heilsrufe auf die Magdalena in den unterschiedlichsten Sprachen und Dialekten.
Ohne Zinder fühlte sich Saga plötzlich sehr einsam, und das war nach den Wochen erzwungener Nähe ein seltsames Gefühl. Sie hatte ein Gefängnis gegen ein anderes eingetauscht. Statt vierhundert Augenpaare beobachteten sie jetzt fünftausend. Dabei war sie allein wie seit langem nicht mehr. Wenn Berengaria tatsächlich Recht behielt mit dem, was sie über die Entscheidung des Erzbischofes gesagt hatte, würde Saga sich bald an das Gefühl gewöhnen müssen.
Sie gab den Befehl, ohne weiteren Verzug in den Palast zurückzukehren, und zu ihrer Überraschung gehorchte ihr die Gardeführerin widerspruchslos. Ungeduldig wartete Saga, bis sich die Tore des Palastinnenhofes hinter ihnen schlossen und die Blicke der Neugierigen aussperrten. Dann erst sprang sie vom Pferd, warf einem der Soldaten die Zügel zu und stürmte in den Palast, ohne sich um Berengaria zu kümmern, die ihr etwas hinterherrief. Sie nahm die Treppen im Laufschritt, achtete nicht auf die verwunderten Blicke der Dienstboten und hielt erst an, als sie Violantes Zimmer erreichte.
Sie holte tief Luft und wollte gerade ohne zu klopfen eintreten, als sie Stimmen hinter der angelehnten Tür hörte. Sie beugte sich näher ans Holz.
»Wir hatten ein Abkommen«, sagte Zinder. Saga konnte hören, dass er seine Wut nur mühsam unterdrückte. »Meine Leute und ich bilden die Mädchen unterwegs zu Kämpferinnen aus – oder tun wenigstens unser Möglichstes –, und dafür begleiten wir Euch bis übers Meer. Ich habe meinen Männern Land versprochen. Ich habe –«
»Als ob es hier um deine Männer ginge.« Violantes Stimme war deutlich zu verstehen.
Kurzes Schweigen, dann: »Ihr habt mich angelogen. Ihr habt mir versprochen, dass ich mich irgendwo dort unten niederlassen kann. Mit genug Land, um davon leben zu können. Darum habe ich mich auf diesen ganzen Wahnsinn eingelassen.«
»Ja«, sagte sie leise, »und Land war in der Tat alles, was ich dir versprochen habe. Dein Lohn sollte ausreichen, um deinen Wunsch zu
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