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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erfüllen. Nimm das Gold, Zinder, wie alle anderen, und verschwinde.«
    Sein Tonfall wurde noch eisiger. »Nach allem, was ich für Euch getan habe?«
    Violante klang plötzlich waidwund und in die Ecke gedrängt; als versuchte sie Gefühle zu schützen wie eine offene Wunde. Saga hatte sie noch nie so unsicher erlebt. »Glaub mir … ich habe es versucht«, sagte sie, »Wenn du einen Schuldigen suchst dann wende dich an Aribert. Es ist seine Entscheidung gewesen dich zu ersetzen, nicht meine.«
    »Gegen Berengaria! Herrgott, ich kenne dieses Weib.«
    »Eine geborene Anführerin, wie ich höre. Hart, ehrlich, gehorsam. Das jedenfalls sagt der Erzbischof über sie.« Violante hatte sich wieder in der Gewalt. Ihre Stimme klang schneidend wie immer.
    Zinder schnaubte. »Sie hat Söldner geführt, bevor sie es sich auf diesem Posten hier in Mailand bequem gemacht hat. Jahrelang ist sie mit ihrem Trupp durch die Lande gezogen und hat ihre Klingen an den Meistbietenden verkauft.«
    Die Gräfin stieß einen Seufzer aus. »Ich habe keine Zeit für so was, Zinder. Und keine Geduld.«
    »Ach ja?«, erwiderte der Söldnerführer. Er lachte verbittert auf. »Für mich habt Ihr vielleicht keine Zeit. Nur wenn es um Euch geht – um Euch und um ihn –, habt ihr alle Geduld der Welt.«
    Aus irgendeinem Grund brachten Violante diese Worte mehr auf als alle, die vorher gefallen waren. Ihre Stimme klang erstickt, als sie antwortete. »Du weißt nicht, wovon du sprichst, Zinder. Ich habe gedacht … Gott, ich weiß nicht, was ich gedacht habe.« Stille. Dann flüsterte die Gräfin. »Ich bitte dich Zinder, geh. Es ist besser so.«
    Er wirbelte herum und kam mit polternden Schritten näher. Saga wich unwillkürlich zurück und verbarg sich in einer Nische im Gang.
    »Ach, verdammt!«, hörte sie Violante leise fluchen, dann rief sie dem Söldnerführer hinterher: »Mach’s wie deine Männer, Zinder. Nimm dein Gold und verschwinde von hier.«
    Saga klangen die Wut und Enttäuschung in Zinders Stimme noch in den Ohren, als seine Schritte längst verhallt waren. Zinder mochte die Gräfin, das war allzu offensichtlich. Aber war da noch mehr? Eifersucht auf Gahmuret?
    Sie presste sich tiefer in die Nische, als sie aus Violantes Zimmer rastlose Schritte vernahm, die sich der Tür näherten. Sie jetzt zur Rede zu stellen war keine gute Idee. Die Gräfin würde nichts ändern können am Beschluss des Erzbischofs, Zinder gegen seine eigenen Leute auszutauschen. Sie hätte es getan, wenn es in ihrer Macht gestanden hätte, da war sich Saga plötzlich sicher. Es war ein kühl kalkulierter Zug des Erzbischofs gewesen, um allen deutlich zu machen, dass er derjenige war, der hier die Entscheidungen traf.
    »Es ist besser so«, flüsterte Violante noch einmal, dann stürmte sie mit gesenktem Haupt an dem reglosen Mädchen vorüber und verschmolz mit den Schatten des Korridors.
    Es war schon spät, als es Saga endlich gelang, den Dienstboten zu entkommen, die ihr auf Schritt und Tritt folgten.
    Mit einem Überwurf und tief ins Gesicht gezogener Kapuze huschte sie durch die Gassen Mailands in Richtung Lager. Die Dunkelheit war bereits angebrochen, und die Menge hatte sich ausgedünnt. Aus Wirtshäusern drang der Lärm zechender Männer, hin und wieder der schrille Ruf einer Schankmagd. Auf den Plätzen der Stadt saßen Menschen in kleinen Trauben beieinander und tranken Wein aus Lederschläuchen. Saga sah ein paar Männer in Frauenkleidern, die sich Zöpfe aus Stroh angebunden hatten; sie grölten Lieder, die wie verballhornte Kirchengesänge klangen. Zwei lieferten sich ein ausgelassenes Gefecht mit Besen statt Schwertern. Saga musste unwillkürlich lächeln. Womöglich schenkte ihnen der Rausch einen vernünftigeren Blick auf das Frauenheer vor den Toren als alle fromme Begeisterung, die die Priester des Erzbischofs von den Kanzeln predigten.
    Ohne Zwischenfälle erreichte Saga das Lager. In der ganzen Stadt waren Mädchen unterwegs, obgleich Berengaria eine strenge Ausgangsperre für alle Teilnehmerinnen des Kreuzzugs verhängt hatte. Aber es war unmöglich, fünftausend junge Frauen wie Gefangene zu halten, von denen der allergrößte Teil nie zuvor eine Stadt wie Mailand aus der Nähe gesehen hatte. Saga nahm an, dass nicht jede nach dieser Nacht in ihr Zelt zurückkehren würde.
    Die Garden der unterschiedlichen Machtparteien Mailands hatten Anweisung erhalten, keine fremden Männer in die Stadt zu lassen; die Verlockung tausender Jungfrauen an

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