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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Stadt viele weitere Kreuzfahrerinnen versammelt hatten, die dort auf die Ankunft der Magdalena warteten. Eben darauf hatte Violante spekuliert – doch als die Hauptleute Zahlen nannten, war die Wahrheit sogar für sie ein Schock.
    »Viereinhalbtausend«, sagte der erste Hauptmann.
    »An die fünf Tausendschaften«, der zweite.
    Und der dritte erklärte wortreich: »Meine Herrschaft, die Konsuln der Credenza di San Ambrogio lassen Euch mitteilen, dass viertausend und noch einmal fünfhundert unschuldige Seelen vor den Toren im Süden der Stadt Eurer Ankunft harren. Der Herr Erzbischof, Euer verehrter Cousin, hat Truppen abgestellt, die seither ihr Möglichstes tun, die Mädchen im Umgang mit Kriegswerkzeug zu unterrichten.« Letzteres sagte er mit so augenfälligem Naserümpfen, dass wenig Zweifel daran bestand, was er von Schwertern in Frauenhand hielt.
    Der Erzbischof Aribert della Torre, Violantes Cousin zweiten Grades, empfing sie in seinem Palast. Saga mochte ihn nicht – er war feist, schwitzte heftig und hatte bemalte Lippen –, aber Violante erwies sich als äußerst geschickt im Umgang mit ihm. Sie tat, als wäre er ihr ältester und bester Freund, und nach der ausgedehnten Begrüßung in seinem Empfangssaal lud er sie alle zu einem Festmahl am nächsten Abend ein. Zugleich machte er keinen Hehl daraus, dass das Heer sich spätestens Ende der Woche in Bewegung setzen und Mailand den Rücken kehren musste. Violante bejahte eifrig jeden seiner Wünsche, und einmal mehr musste Saga sich vor Augen führen, dass es Erzbischof Aribert war, der das finanzielle Rückgrat des Kreuzzugs bildete.
    Violante hatte Saga kurz vor ihrer Ankunft die Zusammenhänge erläutert: Für den Erzbischof ging es weder um Gahmuret von Lerch noch um die Befreiung der Heiligen Stätten. Im ewigen Kampf um die Vorherrschaft in Mailand versprach er sich vielmehr neue Unterstützung im Volk, das des nicht enden wollenden Zwists zwischen Kirche, Adel und Handel überdrüssig war. Ein frommer Mann wie Aribert della Torre mochte die unterschiedlichen Faktionen hinter sich vereinen, wenn er ihnen weismachen konnte, dass er keine Kosten und Mühen scheute, dem Allmächtigen gefällig zu sein.
    Während der Begrüßung musterte Aribert Saga immer wieder aus schmalen Augen, die tief in seinem fleischigen Gesicht lagen. Erst als die Audienz fast zu Ende war, richtete er das Wort an sie. »Auf Euch, verehrte Magdalena, wartet morgen Abend beim Mahl noch eine weitere Aufgabe.«
    »So?«, fragte sie unsicher.
    »Unser aller Heiliger Vater, Papst Innozenz, hat einen Vertrauten gesandt, der die Rechtmäßigkeit Eurer Ansprüche überprüfen soll. Macht Euch also gefasst auf einige Fragen, meine Liebe. Und, bitte, seid so gut – gebt ihm die richtigen Antworten.«
    Achards Führer durch die Via Mala hatten die Frauen wider Erwarten nicht in eine Falle gelockt oder anderweitig in die Irre geleitet. Nichtsdestotrotz hatten sie den Zug brutal zur Eile getrieben und keine Rücksicht auf Kranke und Verletzte genommen. Erst kurz vor Erreichen der Passhöhe, mehrere Meilen jenseits der Schlucht, hatten Violante, Saga und Zinder erfahren, dass es mehrere Tote beim Durchqueren der Kluft gegeben hatte; der Weg war zu eng gewesen, um vorher Boten vom Ende des Zuges an seine Spitze zu senden. Eine Felslawine hatte sich gelöst und drei junge Frauen und zwei Söldner unter sich zermalmt.
    Ein halbes Dutzend Mädchen war verletzt worden, wenn auch keines so schwer, dass man es hätte tragen oder gar zurücklassen müssen. Die Führer hatten daraufhin erklärt, fünf von vierhundert sei ein vortrefflicher Schnitt für so gefährliches Terrain. Als aber unverhofft der Boden gebebt hatte, waren sie blass geworden und hatten verstört miteinander getuschelt. Auf die Frage, ob solche Beben an der Tagesordnung wären, hatten sie keine Antwort gegeben und sich eilig auf den Rückweg zur Burg gemacht. Niemand hatte ihr Verschwinden bedauert, und wie sich bald zeigte, war der Zug auf dem Rest des Weges über die Berge gut ohne Achards Männer ausgekommen.
    Mönche, die auf dem Pass ein Hospiz betrieben, hatten sich bereit erklärt, die Verwundeten zu versorgen. Nach einem halben Tag Pause hatten sie weiterziehen können und waren während des Abstiegs über die Südhänge der Alpen auf keine weiteren Hindernisse gestoßen.
    Der Marsch über das Gebirge, die Sorge um die Verletzten, die Trauer um die Toten, all das forderte nach ihrer Ankunft in Mailand einen längst

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