Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
weil sie besessen ist von der Erinnerung an einen Mann!«
    »Glaubst du wirklich, das ist der einzige Grund?«
    »Nein. Sie hat Angst. Ich bin nicht sicher, wovor. Sie läuft mindestens ebenso sehr irgendwem hinterher wie vor irgendetwas davon.« Er ließ die Hände sinken und trat einen Schritt zurück. »Aber das tun viele von uns.«
    Sie hätte ihn mit Hilfe des Lügengeists aufhalten können, doch Saga wusste, dass sie das nicht tun würde. Nicht ihn. Wie als Reaktion auf ihre Entscheidung bäumte sich der Lügengeist tief in ihrem Inneren auf und stemmte sich gegen seine Ketten.
    »Wo willst du hin?«, fragte sie, um sich abzulenken.
    »Vielleicht bleibe ich in Italien und folge dem kaiserlichen Heer nach Süden. Dort unten werden jetzt Söldner gebraucht, auf beiden Seiten.«
    »Du hast mir mal gesagt, dass du genug hast vom Kämpfen. Du hast von einem Haus gesprochen, und von einer Familie –«
    Er schüttelte den Kopf, trat wieder zurück ins Licht der Öllampe und packte den Rest seiner Sachen zusammen. Saga sah ihm schweigend zu und überlegte mit wachsender Verzweiflung, wie sie ihn aufhalten könnte. Sie wollte nicht, dass er ging.
    »Sind wir Freunde, Zinder?«
    »O nein, Saga, komm mir nicht so!«
    Sie schüttelte den Kopf. »Schon seltsam. Am Anfang hast du mir einen Heidenrespekt eingejagt. Und jetzt habe ich Angst davor, dass du gehst.«
    Mit einem Seufzen schulterte er seine Bündel, trat an ihr vorbei in Freie und befestigte die Sachen am Sattel seines Pferdes. Saga stand mit verschränkten Armen dabei und versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Es gelang ihr nur leidlich.
    »Sie sind alle weg«, murmelte er beim Anblick der leeren Wiese rund um das Zelt.
    »Du hast sie einfach gehen lassen?«
    »Sie waren zufrieden mit dem, was der Erzbischof ihnen ausgezahlt hat. Sollen sie sehen, wie weit sie das bringt. Ich werde jedenfalls keine Männer mehr führen. Ich bin es leid, für irgendwen Verantwortung zu tragen.«
    »Du bist verbittert.«
    »Mag sein.«
    Er kam zu ihr, umarmte sie und hielt sie lange genug fest dass sie ihre Tränen an seiner Schulter abwischen konnte. Sie wollte nicht, dass er sie weinen sah.
    Schließlich ritt er davon, hinaus in das Dunkel hinter den Feuern.
    »Leb wohl!«, rief sie ihm nach.
    Er hob eine Hand, ohne sich umzudrehen. Dann war er fort.

Der Segen des Papstes
     
    Nach Zinders Abschied irrte Saga lange im Lager umher, beobachtete Frauen, deren Gesichter und Namen sie nicht kannte und die ihr, einer Fremden, dennoch ihr Leben anvertrauten. Sie dachte an das, was Zinder gesagt hatte. Er hatte sich entschlossen, seine Verantwortung abzulegen wie einen alten Mantel. Vielleicht war es für Saga noch nicht zu spät, das Gleiche zu tun. Warum hatte er sie nicht gefragt, ob sie ihn begleiten wollte? Hatte er Angst gehabt vor dem, was sie antworten würde?
    Schließlich war es Berengaria, die sie nahe eines der großen Feuer aufstöberte und zurück zum Palast brachte.
    »Das Festmahl zu Ehren des päpstlichen Gesandten«, sagte die Normannin knapp. »Alle warten auf dich. Der Erzbischof und die Gräfin sind außer sich, weil wir dich nirgends finden konnten.«
    Ein Stück weit erfüllte Saga die Vorstellung mit Befriedigung, dass Violante sich wegen ihr die Haare raufte; aber es war ein oberflächliches Gefühl, das gleich wieder verging. Vielleicht sollte sie aufhören, Violantes Entscheidung persönlich zu nehmen. Für den Kreuzzug mochte sie das Richtige getan haben. Aber Saga stand Zinder zu nahe, um seinen Zorn und seine Enttäuschung nicht nachvollziehen zu können. Und er war der Einzige im Lager gewesen, dem sie ihr Leben anvertraut hätte.
    Als Berengaria und sie auf dem Pferd der Normannin den Palast erreichten, entstand Aufruhr. Violante sprach kein Wort mit ihr, schleuderte nur vernichtende Blicke in ihre Richtung und gab den Zofen übellaunige Befehle, Saga so schnell wie möglich hoffähig herzurichten. Saga ließ all das über sich ergehen. Man steckte sie in ein schlichtes Kleid – nur ja nicht zu schmuckvoll schließlich sollte sie dem Gesandten des Papstes als gottesfürchtige Predigerin vorgeführt werden –, stellte irgendetwas mit ihrem Haar an, das sie selbst nicht sehen konnte, und schleuste sie an zahllosen Wächtern vorbei in den großen Festsaal der erzbischöflichen Residenz.
    Um eine enorme Tafel für hundert oder noch mehr Menschen waren eine Reihe kleinerer Tische angeordnet worden, an denen jeweils zwanzig Höflinge und

Weitere Kostenlose Bücher