Herrin der Lüge
wandte sie sich zu dem letzten verbliebenen Ritter um.
Der Johanniter lächelte und verschränkte die Arme, sodass sein Kettengewebe klirrend aneinander rieb. Er war älter und womöglich auch weiser als die beiden anderen Männer.
»Und Ihr?«, fragte Violante mit einer Stimme, in der noch immer Wut vibrierte. »Wollt Ihr Euch diesen beiden Herren nicht anschließen? Geht nur!«
»Ihr seid eine erstaunliche Frau, Gräfin Violante.«
»Vielleicht erstaunlich, vielleicht nur erstaunlich dumm. Aber ich kann nicht mit anhören, wie –«
Sie verstummte, als sein Lächeln noch breiter wurde, eine einzige Herausforderung. Tatsächlich schien ihn nicht nur Violantes Wutanfall, sondern mehr noch die Dünnhäutigkeit der beiden anderen Ritter zu belustigen.
»Ich weiß, weshalb Ihr wirklich hier seid«, sagte er übergangslos.
Violantes Augen verengten sich. »So?«
Er nickte. »Keine Sorge, die beiden hatten keinen Verdacht. Ich hatte von Anfang an die Hoffnung, dass ich ohne sie mit Euch sprechen könnte, und wie ich sehe, hattet Ihr das gleiche Bedürfnis.«
»Ihr –«
»Beschimpft mich, wenn Ihr mögt. Nach zwanzig Jahren im Heiligen Land bin ich Schlimmeres gewohnt, glaubt mir. Ich habe mit einer Hand voll Männer zweihundert aufgebrachten Sarazenen gegenübergestanden, habe Sandstürme überlebt, die anderen das Fleisch von den Knochen geschnitten haben, und ich habe viele Jahre lang an der Grenze zum Seldschukenreich gedient.« Er seufzte, während er zugleich die Stimme senkte. »Wahrlich, Gräfin, es gibt üblere Furien, als Ihr eine seid.«
Niemand zeigte mehr Interesse an Saga. Nicht, dass ihr das missfiel. Am liebsten wäre sie den Männern an Deck gefolgt, wo gewiss gerade gehörige Verunsicherung angesichts des ungestümen Abgangs der Ordensritter herrschte.
Noch während der Johanniter gesprochen hatte, verpuffte Violantes Zorn. Müde sank sie gegen den Tisch und stützte sich mit beiden Händen an der Kante ab.
»Ich bin nicht Euer Feind, Gräfin«, sagte der Johanniter. Vorhin bei der Begrüßung war Saga so aufgeregt gewesen, dass sie sich nun nicht mehr an seinen Namen erinnern konnte.
Violante hob den Kopf und sah ihm geradewegs in die Augen. »Dann wollt Ihr uns unterstützen?«
»Könnte ich das denn guten Gewissens tun?« Jetzt suchte sein Blick auch wieder Saga, und als er sie fand, reglos wie eine Statue in einem Winkel der Kajüte, legte er die Stirn in Falten und massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. »Du magst eine Stimme hören, mein Kind, aber ich bezweifle, dass es die unseres Gottvaters ist. Oder die der Maria Magdalena.«
Violante wollte erneut auffahren, aber er brachte sie mit einer Geste zum Schweigen. Zu Sagas Verblüffung gehorchte sie.
» Ihr habt mir vorhin nicht zugehört, Gräfin. Ich habe gesagt, dass ich weiß, warum Ihr hier seid. Weshalb Ihr diesen ganzen Wahnsinn ins Leben gerufen habt. Ich weiß, wen Ihr sucht.« Er beugte sich vor, als er das sagte, direkt auf Violante zu, so als wollte er ihren Kopf in beide Hände nehmen wie den eines uneinsichtigen Kindes.
»Dann lasst also auch Ihr uns allein«, gab sie erschöpft zurück, »genau wie die anderen.«
»Gahmuret lebt«, sagte er. »Euer Mann ist nicht tot, Violante, und er ist auch nicht verschollen. Jedenfalls nicht nach den Maßstäben jener Hölle, in der ich ihm begegnet bin.«
Einen Augenblick lang sah die Gräfin ihn nur schweigend an. Falls es ihr die Sprache verschlagen hatte, überspielte sie ihre Überraschung gekonnt mit Härte. Schließlich sagte sie: »Es gehört nicht viel dazu, mir unlautere Motive zu unterstellen. Und noch weniger, den Namen meines Gatten dafür zu missbrauchen.«
»Spielt weiter Euer Spiel, wenn Ihr mögt.« Der Johanniter winkte ab. »Ich bin mehr als nur erstaunt, dass Ihr bis hierher gekommen seid. Die Konsequenz, mit der Ihr Eure Pläne vorantreibt, ist bewundernswert. Ich kannte Euren Mann, und Ihr seid ihm nicht unähnlich. Ihr seid zäh, und das ist er auch – nur deshalb kann er dort überleben, wo er jetzt ist.«
Violantes kunstvoll errichteter Wall aus Verleugnung und Kälte bekam Risse. »Wo ist er?«, fragte sie atemlos.
»In einer Festung, umgeben vom Rest seiner Getreuen. Jenen wenigen, die noch leben, heißt das. Gahmuret ist einen gefährlichen Weg gegangen, und ich bezweifle, dass selbst Ihr ihm folgen könnt.«
»Sagt mir, wo ich ihn finden kann.«
»Im Seldschukenland. Im Nirgendwo. Weit jenseits der Grenzen des Heiligen
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