Herrin der Lüge
Landes im Osten. Kein Christ geht freiwillig dorthin, es sei denn, er ist bereit, mit dem Leben und seiner Seele dafür zu bezahlen.«
Violante starrte den Ritter an. »Fahrt fort«, brachte sie mit erzwungener Ruhe hervor.
»Gahmuret und seine Getreuen haben auf ihrem Weg eine Spur der Zerstörung hinterlassen. Verwüstete Höfe, niedergebrannte Dörfer, Massaker an Bauern und Nomaden. Es heißt, sie haben den Verstand verloren. Alle Schrecken der Plünderung von Konstantinopel, all das Töten, die Zerstörung … Gahmuret und seine Leute haben sie ins Land hinausgetragen. Ein Trupp wurde ihm nachgesandt, doch die Männer verschwanden. Danach gab es keine Spur mehr von Gahmuret und seinen Kämpfern. Das Große Unbekannte im Osten hatte sie verschlungen. Sie waren verschwunden. Tot, meinten alle.«
Saga bewegte sich nicht, verhielt sich mucksmäuschenstill. Ihre Fahrt stand an einem Scheidepunkt, aber es war nicht jener, den Violante vorausgesehen hatte. Ob die Orden sie unterstützen würden oder nicht, schien mit einem Mal unwichtig. Die Wahrheit über Gahmuret konnte alles verändern.
»Aber er war nicht tot«, fuhr der Johanniter fort und begann nun, in der engen Kajüte auf und ab zu gehen. »Die Brüder meines Ordens waren die Ersten, die wieder von ihm hörten. Wir Johanniter unterhalten eine Feste an der Grenze zum Seldschukenreich, den Krak des Chevaliers. Es ist ein abgelegener Außenposten, ein letztes Stück christliche Zivilisation, bevor die Welt in Barbarei versinkt. Von dort aus senden wir dann und wann Spione in die Länder der Seldschukenclans. Viele kehren nie zurück, aber manchmal schafft es einer und bringt Botschaft von dem, was jenseits der Grenze vor sich geht. Vor ein paar Jahren berichtete einer von Gerüchten, die er aufgeschnappt hatte: dass eine Horde Wahnsinniger aus dem Abendland eine Festung der Seldschuken besetzt halte und von dort aus Raubzüge unternehme. Und glaubt mir, Violante – nur ein Wahnsinniger könnte einem solchen Irrsinn verfallen. Die Seldschuken sind in mancher Hinsicht schlimmer als die Sarazenen. Sich mit ihnen anzulegen und zudem in ihrer Mitte auszuharren, das erfordert mehr als Mut oder Dreistigkeit oder Verzweiflung. Nur ein kranker Geist würde je so weit gehen, alles hinter sich lassen, seine Vergangenheit, seine Familie, seine Seele, im Austausch für … das. Gahmuret ist jetzt einer der Verdammten, und wenn Ihr Eure Sinne beieinander habt, Gräfin, dann versucht Ihr nicht, ihm auf seinem Weg zu folgen. Am Ende warten nur Wahnsinn und Tod auf Euch.«
Violante war aschfahl geworden, viel bleicher noch als während ihres Wutausbruchs vorhin, doch sie hielt ihre Gefühle unter Kontrolle. Ihr Unterlippe bebte, ihr Atem ging zu schnell und zu laut, aber sie brach weder in Tränen aus, noch schimpfte sie den Johanniter einen Lügner.
»Er ist mein Gemahl«, sagte sie leise. Nichts sonst.
»Kehrt um, Violante.« Der Johanniter sprach nun mit erstaunlicher Sanftheit. »Wenn Ihr wirklich die Hilfe meines Ordens erbittet, so kann und will ich sie Euch als Ratschlag geben: Lasst Eure Flotte wenden, bringt diese Mädchen zurück in ihre Heimat und gebt Euch damit zufrieden, dass Ihr Gahmuret nicht mehr wiedersehen werdet.«
Violante schluckte, ihre Finger schienen sich in das Holz des Kapitänstisches zu graben. »Ich werde ihn finden. Mit oder ohne Eure Unterstützung.«
»Und dafür das Leben von fünftausend Mädchen aufs Spiel setzen?«
»Glaubt Ihr denn, sie würden mir gehorchen, wenn ich jetzt den Befehl zur Umkehr gäbe? Das alles hier« – sie machte eine umfassende Geste mit beiden Armen – »das alles ist größer als ich oder Gahmuret oder die Macht Eures Ordens. Der Glaube von fünftausend Menschen ist wie eine Naturgewalt. Niemand kann sich dagegenstellen.«
»Die Sarazenen werden es tun«, sagte der Johanniter unbeeindruckt. »Redet mit den Frauen. Von mir aus lasst Eure Magdalena zu ihnen sprechen. Aber ich bitte Euch, ich flehe Euch anmacht kehrt!«
Sie schüttelte stumm den Kopf.
Der Johanniter ballte die Fäuste. Sein Gesicht schien einzufallen, Schatten vertieften seine Wangen. Er wandte sich ab und trat zur Tür. »Ich werde nach Rom gehen und den Papst über das in Kenntnis setzen, was hier geschieht. Die anderen Orden mögen Euch ihre Hilfe verweigert haben, weil sie uneinsichtig und verblendet sind. Ich verweigere sie Euch, um Euch eine Chance zu geben, zur Vernunft zu kommen.«
Mit einem Kopfschütteln verließ er die Kajüte,
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