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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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diesen Schiffen … sie sind auf die Unterstützung der Ritter angewiesen. Was glaubst du, werden die Sarazenen tun, wenn fünftausend Frauen schutzlos an ihrer Küste auftauchen? Wir brauchen diese Ritter!«
    »Seit wann macht Ihr Euch Gedanken über das Wohlergehen der Mädchen?« Saga kannte die Antwort, auch wenn sie sie noch immer verwirrte: Violante mochte diesen Kreuzzug ins Leben gerufen haben, um ihren Mann wiederzufinden, aber irgendwann unterwegs, an irgendeinem Punkt der Reise, hatte sie begonnen, sich für die Kreuzfahrerinnen verantwortlich zu fühlen. Saga fragte sich, ob Violante insgeheim zu der Ansicht gekommen war, dass dies alles ein großer Fehler war.
    »Du kannst von mir halten, was du willst«, sagte die Gräfin. »In ein paar Minuten werden die Gesandten der drei Orden an Bord kommen. Und sie werden dir Fragen stellen.«
    Saga nickte nur. Sie waren das alles längst durchgegangen. Während Saga ans Bett gefesselt gewesen war, hatte Violante auf ihrer Bettkante gesessen, geredet und geredet.
    »Bist du bereit?«
    »Ist das wichtig? Wir können auf See ja doch nicht vor ihnen davonlaufen.«
    Violante schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Du wirst das schon schaffen.«
    »Ich habe Angst.«
    »Die habe ich auch. Aber wenn du alles richtig machst, wird es gut gehen.«
    Violante nahm ganz selbstverständlich an, dass Saga den Lügengeist heraufbeschwören würde, um die Ordensritter von der Rechtmäßigkeit ihrer Kreuzfahrt zu überzeugen. Allein der Gedanke ließ ihn in Sagas Innerem rumoren wie ein schlechtes Gewissen, das sich plötzlich zu Wort meldete.
    »Du wirst doch alles tun, damit sie uns helfen, oder?« Violantes Tonfall verriet ihre Unsicherheit. Was jetzt geschehen würde, lag außerhalb ihres Einflusses.
    Sie traut mir nicht, dachte Saga. Und sie hat Recht damit. Ich würde mir auch nicht über den Weg trauen. Nicht der besten Lügnerin der Welt.
    »Bitte«, sagte Violante. Es war das erste Mal in all den Wochen, dass sie um etwas bat, statt zu fordern. Saga suchte in sich nach Triumph, aber sie fand nichts dergleichen.
    Nur Furcht.
    Zuerst fielen ihr die Augen des Tempelherrn auf. Sie waren eisblau und schienen sich niemals zu schließen. »In deinen Visionen erscheint dir also Maria Magdalena und teilt dir den Willen Gottes mit.«
    Es klang wie eine Feststellung, aber Saga hatte dennoch das Gefühl, dass der Ritter eine Antwort erwartete. »Ja«, sagte sie. »Das tut sie.«
    »Wie sieht sie aus?«, fragte der Ritter des Deutschen Ordens.
    »Ist sie schön?«, wollte der Johanniter wissen.
    Saga kam sich unter den Blicken der drei Männer sehr klein vor. Sie befand sich mit ihnen in der Kajüte des Kapitäns. Außer ihr und den Ordensrittern war nur Violante anwesend, aber die Männer hatten keinen Hehl daraus gemacht, dass sie erwarteten, dass die Gräfin während der Befragung schwieg. Man musste ihr nur ins Gesicht sehen, um zu erkennen, wie schwer ihr das fiel.
    »Sie sieht aus wie eine ganz normale Frau«, sagte Saga. »Nichts an ihr ist überirdisch. Sie ist einfach nur … eine Frau.«
    Der Ritter des Templerordens war der jüngste und stattlichste der drei Männer. Er hatte hellblondes langes Haar, widerspenstig wie Stroh. Unter seinem rechten Auge verlief eine Narbe gerade nach unten, als hätte ihm jemand eine Klinge ins Gesicht gestoßen. Der schmale Strich endete in einer leichten Verdickung; sie sah aus wie eine fleischfarbene Träne. Wie die beiden anderen hatte er in voller Kriegsmontur zur Santa Magdalena übergesetzt, was ihn größer und eindrucksvoller erscheinen ließ. Über einem knielangen Kettenhemd trug er den weißen Templermantel mit dem roten Tatzenkreuz. Sein Schwert zeichnete sich unter dem weit fallenden Stoff ab. Die aus Ketten gefertigte Halskrause reichte ihm bis unters Kinn und machte sein markantes Gesicht noch eckiger.
    »Du nennst dich selbst die Magdalena. Ist das nicht Gotteslästerung, wenn doch die wahre Maria Magdalena, wie du behauptest, Gottes erwähltes Werkzeug ist? Sie hat als Erste den auferstandenen Herrn Jesus mit eigenen Augen gesehen. Sie war es, die den Jüngern die Nachricht seiner Auferstehung überbracht hat. Manche nennen sie deshalb den Apostel der Apostel. Und du willst sie sein?«
    »Nicht ich habe mir diesen Namen gegeben«, widersprach sie. »Das haben andere getan. Ich habe nie darum gebeten.«
    »Aber du fühlst dich ihr verbunden.«
    »Ja, Herr. Auch Maria Magdalena hatte Visionen.«
    »Sie litt unter Ekstasen«,

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