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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sonst hätte Saga sie lange vorher hören müssen. Als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass es sich um zwei Kreuzfahrerinnen und eine von Berengarias Söldnerinnen handelte. Eines der Mädchen hielt der Kriegerin die Schwertspitze an die Brust, und nach den wochenlangen Übungen tat sie das durchaus mit Überzeugungskraft.
    Saga kümmerte sich nicht weiter um sie und schlüpfte durch den Türspalt ins Innere des Kastells. Der kurze Korridor war verlassen. Einem ersten Impuls folgend wollte sie Violante wecken, entschied sich aber dann dagegen. Stattdessen klopfte sie an die Tür der Kammer, die sich Jorinde mit Karmesin teilte.
    Beide lagen in ihren Kojen. Die Konkubine schreckte auf, als Saga eintrat. Es war zu dunkel, um Genaueres zu erkennen, aber Saga war ziemlich sicher, dass Karmesins Hand unter der Decke eine Waffe hielt. Einen Dolch, vermutlich.
    »Saga?« Sie drückte die Tür hinter sich zu. Durch die einzige Luke fiel dunstiger Mondschein wie Silberstaub, nur ein spärlicher Hauch von Helligkeit.
    Zwischen den Lagern der beiden ging sie in die Hocke und erzählte hastig, was sie beobachtet hatte. Karmesin und Jorinde waren sogleich auf den Beinen. Saga und die Konkubine bestanden darauf, dass Jorinde zurückblieb, aber die junge Frau weigerte sich; sie legte so viel Verbissenheit in ihre Weigerung, dass keine der anderen widersprach.
    Wenig später hatten sie die Gräfin und Berengaria geweckt außerdem den Kapitän. Angelotti wollte an Deck laufen, aber sie hielten ihn zurück. Stattdessen versammelten sie sich in seiner Kajüte, wagten nicht, Lampen zu entzünden, und hielten flüsternd Kriegsrat. Als erneut ein Streit zu entbrennen drohte, hatte Saga endgültig genug. Rastlos stürmte sie aus der Kajüte, und bevor irgendwer sie aufhalten konnte, war sie schon an Deck, baute sich vor den drei Wächterinnen auf und stemmte die Arme in die Hüften.
    »Was geht hier vor?«, blaffte sie die beiden an und dachte bei sich, dass sie genau dies schon vorhin hätte tun sollen. Die endlosen Debatten führten zu nichts und kosteten wertvolle Zeit.
    Noch bevor sie eine Antwort erhielt, entdeckt sie zu ihrem Schrecken, dass im Inseldorf Feuer ausgebrochen waren. Jetzt wehten auch Stimmen herüber, Gebrüll und Kreischen, nicht angsterfüllt, sondern wütend und übermütig. Die Laute schwollen an, vermischten sich mit anderen Rufen und schließlich auch verzweifelten Schmerzensschreien.
    Großer Gott, durchfuhr es Saga, sie plündern das Dorf!
    Der Gedanke erschien ihr so aberwitzig, so unwirklich, dass sie Mühe hatte, ihn ernst zu nehmen.
    Das Mädchen mit dem blankgezogenen Schwert wirbelte in ihre Richtung herum, aber ein Rest von Respekt ließ sie zögern, als sie die Magdalena erkannte. Die Söldnerin neben ihr holte aus und schlug der jungen Kreuzfahrerin mit aller Kraft in die Seite. Ein sonderbares Fauchen kam über ihre Lippen, das Schwert klirrte auf die Planken, sie selbst stürzte hinterher.
    Blitzschnell zog die Kriegerin ihre eigene Waffe und richtete sie auf das zweite Mädchen.
    Saga atmete auf. »Wie viele sind es?«
    »Die allermeisten«, erwiderte die Kriegerin. »Der Rest wartet ab, wie sich die Dinge entwickeln. Nur ein paar haben sich dagegengestellt. Viele von ihnen liegen geknebelt unter Deck. Einige sind vielleicht sogar tot.«
    »Das ist doch Irrsinn!« Saga biss sich auf die Lippen.
    Karmesin tauchte neben ihr auf. »Geh nicht«, sagte sie. Und da wusste Saga: Natürlich, genau das musste sie tun! Wenn überhaupt irgendwer diese Wahnsinnigen aufhalten konnte, dann sie allein.
    Auf den benachbarten Schiffen wurde Lärm laut. Auch andere Kapitäne hatten erkannt, was vorging. Waffenklirren drang herüber, als irgendwo ein offener Kampf entbrannte.
    »Ich muss gehen!«, entschied Saga.
    Violante und die anderen eilten ins Freie und versammelten sich um Saga. Die Gräfin wollte das Wort ergreifen, aber diesmal kam Saga ihr zuvor.
    »Ich brauche ein Boot!«, sagte sie. »Gibt es hier irgendwo noch eines?«
    Die Wächterin nickte. »Die beiden vorn am Heck sind noch da.«
    Falls dem Überfall nicht Einhalt geboten wurde, war der Kreuzzug hier und jetzt beendet; selbst Violante blieb nichts übrig, als sich die furchtbare Wahrheit einzugestehen.
    Die nächsten Minuten rauschten wie ein verschwommener Albdruck an Saga vorüber. Eines der beiden verbliebenen Ruderboote wurde zu Wasser gelassen, und wenig später waren Saga, Violante, Karmesin, Angelotti und Berengaria unterwegs zur Insel. Die

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