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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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des Horizonts, dort wo das Dunkelblau des Meeres auf den leuchtenden Sommerhimmel traf. Die Sonne stand hoch, schien aber so heiß und grell, dass Saga blinzeln und die Augen mit der Hand beschatten musste. Sie fragte sich, wie nahe Schiffe wohl herankommen mussten, ehe sie mit bloßem Auge zu erkennen waren.
    »Wer garantiert uns, dass das die Wahrheit ist?«, fragte Violante.
    »Es ist eine Lüge!«, rief Berengaria. »Ganz sicher ist es das.«
    Die Botin wischte sich Schweiß von der Stirn. Die Hitze war im prallen Sonnenschein schwer zu ertragen, und die Nähe ihrer früheren Anführerin machte die Frau nervös. »Ich kann Euch nur mein Wort geben.« Sie sprach in Violantes Richtung und wich dem Blick der Söldnerführerin aus. »Ihr werdet die Schiffe der Piraten und Sklavenjäger von hier oben aus eine ganz Weile vor uns sehen können.«
    »Wie groß soll diese geheimnisvolle Flotte sein?«, erkundigte sich die Gräfin, aber ihre Ironie kaschierte kaum ihre Beunruhigung.
    »Zwanzig Galeeren. Sklavenjäger aus Nordafrika. Piratenschiffe aus Malta. Wie es aussieht, haben die Geschichten über fünftausend Jungfrauen alle Ratten des Mittelmeers aus ihren Löchern gelockt.«
    »Zwanzig Galeeren!«, entfuhr es Saga.
    Auch Karmesin wirkte nun um einiges besorgter als noch vor wenigen Augenblicken.
    Die Botin gewann ihre Fassung zurück, als sie sah, dass ihre Worte Wirkung zeigten. »Wir glauben, dass die Männer die Wahrheit gesagt haben. Am Ende, als wir mit ihnen fertig waren, hat jeder von ihnen dieselbe Geschichte erzählt. Der Anführer der Sklavenjäger ist ein Mann namens Qwara.«
    Angelotti trat einen Schritt vor. »Ich kenne ihn.«
    »Verfügt er über eine solche Flotte?«, fragte Violante.
    »Nicht er allein. Aber es gibt wenige Männer, die es fertig brächten, ein Bündnis zwischen unterschiedlichen Piratenrotten und Sklavenhändlern auszuhandeln. Qwara wäre das zuzutrauen. Er ist ebenso klug wie grausam.«
    Violante wandte sich erneut an die Gesandte. »Warum brecht ihr nicht auf und flieht vor ihnen?«
    »Weiter nach Osten? Niemand will das. Dort warten Ungewissheit und Tod. Die meisten von uns zieht es zurück in die Heimat. Und von dort kommt uns Qwaras Flotte entgegen.«
    »Was genau erwartet ihr von uns?«
    »Zuallererst einen freien Rückzugsweg in die Festung. Es wäre Irrsinn, auf der einen Seite gegen die Piraten zu kämpfen und auf der anderen gegen Euch. Wenn es zur Schlacht kommt – und ganz so sieht es aus, falls die Flotte hier auftaucht –, müssen wir uns den Rücken freihalten.«
    »Ihr seid Meuterer und Mörder!«, brauste Angelotti auf.
    Die Botin verzog das Gesicht. »Welche Chance hättet ihr wohl allein gegen diesen Qwara und seine Männer? Ihr seid gewiss nicht mehr als dreihundert, wahrscheinlich weniger. Ihr solltet euch überlegen, mit wem ihr lieber verhandelt – mit euren eigenen Leuten oder allem Abschaum des Mittelmeers.«
    Angelotti spie aus, sagte aber nichts mehr. Berengaria sah aus, als wollte sie der Gesandten an die Kehle gehen, doch auch sie hielt sich zurück. Violante dachte nach und wägte ihre Möglichkeiten ab; viele waren es nicht. Und Karmesin blickte, genau wie Saga, immer wieder sorgenvoll aufs Meer hinaus.
    Ein Raunen und Flüstern ging durch den Menschenauflauf am Zugang zum Tempelgelände. Die Brücke endete dort vor zwei mächtigen Steinpylonen, auf die horizontal ein weiterer Block aufgelegt war: das Tor der ehemaligen Bergfestung.
    »Freier Rückzug ist das eine«, sagte die Gräfin schließlich. »Aber ihr habt von Führung gesprochen.«
    Die Botin nickte. »Die Kreuzfahrerinnen verlangen eine Anführerin. Sie akzeptieren weder eine von uns noch einen der Kapitäne.«
    Angelotti schnaubte geringschätzig.
    Berengaria stellte sich neben Violante. »Ich werde keinen Haufen von Meuterinnen in die Schlacht führen.«
    Die Gesandte lächelte. »Ihr habt mich missverstanden. Von dir war nicht die Rede, Berengaria.« Violante hob eine Augenbraue. »Auch nicht von Euch, Gräfin.«
    Karmesin war die Erste, die sich zu Saga umschaute. Dann blickte auch die Botin in ihre Richtung.
    »Die Mädchen wollen ganz allein Euch in den Krieg folgen.« Sie zog ihr Schwert, fiel auf die Knie, senkte das Haupt und hielt Saga die Klinge mit beiden Händen entgegen. »Führt uns zum Sieg, Magdalena.«

Die Flotte der Sklavenjäger
     
    Tausende flankierten den Weg, als Saga mit Violante, Berengaria, Karmesin und einer Leibgarde von zehn Söldnerinnen den Berg hinabstieg.

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