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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Abgrund zu öffnen. Sie betete, dass Jorinde auf dem Plateau zurückgeblieben war und hoffentlich hinter all den Kriegerinnen nicht sehen konnte, wer da den Berg zu ihnen heraufgestiegen war. Eine schwache Hoffnung. Jorinde war zu neugierig und besorgt um ihre Freundinnen, als dass sie in diesem Moment nicht nah genug gewesen wäre, um das Gesicht des Mannes am anderen Ende der Brücke zu erkennen.
    »Seid gegrüßt«, rief Achard von Rialt und verbeugte sich spöttisch. Sein langes wildes Haar wehte verfilzt im Nachtwind. Sein Gesicht glänzte im Schein der Feuer und Fackeln vor Schweiß, in seinem Bart hatten sich glänzende Tropfen verfangen. Er stank, selbst über eine Distanz von zehn Schritten. Aber Saga vermutete, dass sie alle nicht viel besser rochen.
    Violante wollte auffahren, doch Saga berührte sie mäßigend an der Hand und trat zwischen den beiden anderen Frauen einen Schritt vor.
    »Was tut ein Wegelagerer aus den Bergen auf einer Insel im griechischen Meer?«, fragte sie.
    Achard grinste. »Das, was er am besten kann.« »Ihr habt Freunde gefunden, wie ich sehe.« »Treue Verbündete, in der Tat.«
    Achard deutete mit einer Handbewegung auf einen breitschultrigen Schwarzen an seiner Seite. Die eindrucksvolle Statur des Mannes war in edle Stoffe gehüllt, die ihn nicht nur aufgrund des schmeichelhaften Vergleichs mit dem schmutzigen, stinkenden Raubritter wie einen afrikanischen Halbgott erscheinen ließen. Sein blauschwarzes Haar war zu einer Vielzahl dünner Zöpfe geflochten, die über seine Schultern fielen. Seine Hand ruhte auf dem Knauf eines Krummschwerts, dessen Scheide mit Rubinen besetzt war.
    »Prinz Qwara«, sagte Achard.
    Der Schwarze verneigte sich, aber im Gegensatz zu Achards Geste wirkte es wie eine echte Ehrenbezeugung, nicht wie Hohn. Offenbar hatte er den Ritter von Rialt zu seinem Sprecher erkoren, denn statt sich direkt an die Frauen zu wenden, redete er nun leise auf Achard ein, bis dieser nickte.
    »Seine Exzellenz Prinz Qwara ist gekommen, um Euch ein Angebot zu unterbreiten«, rief der Raubritter über die Distanz hinweg. »Gräfin Violante, ich denke, Ihr seid es, mit der ich darüber reden sollte.«
    »Ich denke«, kam Saga der Gräfin zuvor, »ich bin es, mit der Ihr reden solltet.«
    »Die Magdalena, so, so. Ganz wie du wünschst, Mädchen.«
    »Er versucht, dich einzuschüchtern«, flüsterte Karmesin kaum hörbar. »Lass dich davon nicht beeindrucken.«
    »Wir stehen mit zehntausend Männern am Ufer dieser Insel«, fuhr Achard fort, »aber das muss euch nicht schrecken. Kein Tropfen Blut muss fließen. Niemandem muss ein Leid geschehen.«
    Ein kaltes Lächeln spielte um Sagas Lippen. Sie fürchtete sich bis ins Mark, aber die Situation hatte etwas Groteskes, das ganz allmählich die Schrecken der Wirklichkeit beiseite drängte wie ein Geruch, der andere überlagert.
    »Wir müssen nur unsere Waffen niederlegen und euch auf eure Schiffe folgen, nicht wahr?« Saga trat noch einen Schritt vor, um zu zeigen, dass sie keine Angst vor Achard und seinen Drohungen hatte.
    Achte gar nicht auf ihn, wisperte es in ihr. Achte auf Qwara. Er ist es, der hier das Sagen hat. Achard ist nichts als ein Lakai.
    Das hätte Berengarias Stimme sein können, die Worte einer wahren Heerführerin. Aber ein wenig verblüfft begriff sie, dass es ihre eigene Vernunft war, die da zu ihr sprach.
    »Ihr traut uns nicht?«, fragte Achard. »Prinz Qwara gibt euch sein Wort, dass es kein Blutvergießen geben wird, wenn ihr euch bedingungslos ergebt.«
    »Das Wort eines Piraten!«, spie Violante in Sagas Rücken aus.
    »Prinz Qwara ist ein Händler«, sagte Achard.
    Die Gräfin winkte ab. »Werdet schon Eure Bedingungen los, damit wir uns Wichtigerem zuwenden können.«
    »In Venedig war zu erfahren, dass ihr rund fünftausend Frauen seid. Ein Fünftel von euch – genau tausend – werden sich kampflos und freiwillig in unsere Obhut begeben. Dann mag der Rest abziehen, wann und wohin er will.« Achard hob die Stimme und brüllte nun zu den übrigen Frauen und Männern auf den Mauerresten und am Tor hinüber. »Kein Blutvergießen, hört ihr? Niemand muss sterben! Und die Ruderknechte und Seeleute dürfen gehen, wenn sie wollen. Verlasst diesen Berg! Wollt ihr wirklich eure Leben für diese Frauen fortwerfen? Wollt ihr für sie kämpfen und sterben? Ihr könnt gehen oder euch uns anschließen. Ihr seid willkommen in Prinz Qwaras Heerschar.«
    »Ihr verhandelt mit mir, nicht mit den anderen«, rief Saga

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