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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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anvertrauten.
    Dürffenthal war hochgewachsen und so ausgezehrt wie alle Johanniter, denen sie bislang begegnet waren. Er trug trotz der Hitze den schwarzen Waffenrock seines Ordens über Kettenhemd und ledernen Beinlingen. Er hatte durchdringende Augen, die mit dem grellen Blau des Himmels wetteiferten. Sein langes Haar war grau wie der Basaltstaub, der über die Hügel wehte. Ein Zweihänder war an seinem Sattel befestigt, an seinem Gürtel hing ein Langschwert.
    »Macht Euch keine allzu großen Sorgen«, sagte er. »Es gibt eine Art Abkommen mit den Seldschuken, das sie hoffentlich davon abhalten wird, uns zu überfallen.«
    »Hoffentlich?«, wiederholte Violante skeptisch. »Und was ist eine Art Abkommen?«
    »Wir haben es mit einem Volk von Nomadenstämmen zu tun. Nicht jeder dieser Kriegerhaufen wird sich an das halten, was ihr Sultan ein paar Christen wie uns zugesagt hat.«
    Bevor Violante nachhaken konnte, fragte Zinder: »Wie kommt es, dass eine solche Zusage überhaupt gemacht wurde – ganz gleich, von wem? Sind Seldschuken und Christen im Heiligen Land nicht Todfeinde?«
    »Die Seldschuken sind keine ungebildeten Schlächter. Man könnte meinen, dass manche ihrer Führer weit mehr von Diplomatie verstehen als die unseren. Sie treiben Handel mit Zypern und sogar Venedig. Ihr solltet sie nicht unterschätzen.«
    »Aber es hieß, Ihr sichert die Grenze gegen sie ab.«
    Dürffenthal seufzte. »Unser Befehl lautet, die Grenze gegen alles und jeden abzusichern, der es wagt, sie zu übertreten. Seldschuken, Sarazenen, Assassinen. Gott weiß, gegen wen noch.
    Oft scheinen wir allerdings gegen die Geister unserer eigenen Ängste anzukämpfen, Hirngespinste, die sich die Großmeister und Kardinäle in Rom einreden, ohne je einen Fuß in dieses Land zu setzen. Sie reden von einer Grenze – aber seht Ihr eine? Gibt es eine? Manchmal kommen mir Zweifel daran.« Verdrossen schüttelte er den Kopf. »Wir sind hier nichts als Geduldete. Wenn die Menschen nicht unsere Feinde sind, dann ist es das Land selbst. Und welche Grenze soll uns davor bewahren?«
    Faun erwachte aus dem eintönigen Tran des Ödlandritts und neigte verständnislos den Kopf. »Sind die Seldschuken nun unsere Gegner oder nicht?«
    Der Johanniter verzog das Gesicht, braungebrannt und grobporig, ausgetrocknet und wund geschmirgelt vom Wüstenwind. »Manchmal sind sie es, und manchmal nicht.«
    »Ihr sprecht in Rätseln«, sagte Violante.
    Er lächelte. »Ich denke, heute sind sie keine Feinde. Nicht, solange es einen gemeinsamen Gegner gibt, der uns beide bedroht.«
    Faun und Tiessa wechselten einen Blick, während Saga aussah, als hätte sie gerade etwas Zappelndes verschluckt.
    Violantes Miene war wie versteinert. »Wen meint Ihr?« Vielleicht verstand sie es wirklich nicht. Oder sie wollte nicht begreifen.
    »Das wisst Ihr sehr wohl«, entgegnete Dürffenthal unbeeindruckt. Er war zu lange in diesem Land und hatte zu viel Schreckliches erlebt, um gegenüber einer Frau wie Violante die Regeln der Höflichkeit zu wahren. »Ich rede von den Männern Eures Gemahls.«
    Violante starrte den Ritter noch einen Augenblick länger an, dann wandte sie das Gesicht nach vorn und blickte schweigend in ungewisse Fernen.
    Karmesin trieb ihr Pferd an, bis es neben dem Johanniter trabte. »Ihr habt Euch mit den Seldschuken gegen Gahmuret verbündet?«
    »Nun, sagen wir, die Seldschuken schlagen sich mit ihm herum, während wir beobachten und dann und wann Bericht auf dem Krak erstatten.« Noch einmal warf er Violante einen Seitenblick zu, doch sie schien in Gedanken bereits woanders zu sein. »Gahmuret und seine Leute haben sich in einer alten Festung verkrochen und von dort aus jahrelang die Karawanen der Seldschuken überfallen. Sie haben Frauen und Kinder verschleppt, geschändet und anschließend in die Sklaverei verkauft. Wir wussten davon, kamen aber nicht an ihn heran, weil seine Burg zu tief im Seldschukenland liegt. Um ehrlich zu sein, viele hier hat es wenig bekümmert, was mit ein paar hundert oder ein paar tausend Ungläubigen geschieht – bis sogar den Herren in Rom klar geworden ist, dass ein Verhalten wie das des Grafen einen so wackligen Frieden innerhalb kurzer Zeit in einen ausgewachsenen Krieg verwandeln kann.«
    Tiessa blickte nach vorn. Staubhosen tanzten über die Hügel. »Darum also ein Bündnis mit den Seldschuken. Um Gahmuret zu schlagen.«
    Der Ritter nickte. »Es ist kein Geheimnis, dass die Orden sich auf einen neuen Sturm gegen

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