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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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alle anderen unter der Hitze litten und mit jeder Stunde tiefer in ihren Sätteln zusammensanken, ritten die Späher unverdrossen an der Spitze des Zuges, behielten die karge Umgebung im Auge und wirkten aufmerksamer und wacher als alle Übrigen.
    Faun ritt neben Tiessa, während Karmesins Pferd nur wenige Schritte hinter ihnen trabte. Faun wurde nicht schlau aus ihr, obgleich es leicht gewesen wäre, ihr mit Haut und Haaren zu verfallen. Sie hatte während der vergangenen beiden Tage kaum ein Wort an ihn gerichtet, war aber meist in Sagas Nähe gewesen, selbst dann, wenn er lieber unter vier Augen mit seiner Schwester gesprochen hätte. Ein paar Mal war Karmesin plötzlich verschwunden, und immer dann hatte Saga den Moment genutzt und über sie gesprochen, über ihr Auftauchen in Venedig, ihr großherziges Wesen, aber auch über ihre Gefährlichkeit. Anfangs war es ihm schwer gefallen, das zu glauben, doch je länger er die Konkubine heimlich beobachtete, desto überzeugter war er, dass Saga nicht übertrieben hatte. Karmesin war keine gewöhnliche Frau, und dieser Eindruck war nicht nur ein Resultat ihrer makellosen Erscheinung. Und makellos, ja, das war sie wohl, selbst nach den Kämpfen auf der Insel, die so vielen das Leben gekostet hatten. Keine Narbe, nicht einmal ein Kratzer. Wie ein Geist.
    Gräfin Violante hingegen gab ihm weit weniger Rätsel auf, als er anfangs vermutet hatte. Er hatte nicht das Gespräch mit ihr gesucht, und auch sie machte keinen Versuch, Erklärungen abzugeben über das, was sie ihm auf Burg Lerch angetan hatte. Zu Anfang hatte er noch geglaubt, Scham oder wenigstens ihr Gewissen seien womöglich der Grund dafür, doch dann war ihm klar geworden, dass Violante schlichtweg keinen Gedanken an ihn verschwendete. Sie brannte vor Aufregung, hatte den Aufbruch zuletzt kaum noch erwarten können, und manchmal fragte er sich ernsthaft, ob sie auch nur ein einziges Mal darüber nachgedacht hatte, dass der Junge, der jetzt mit ihr ritt, derselbe war, den sie auf Burg Lerch ins Verlies geworfen hatte. Aber er war nur ein Opfer mehr, das sie für ihr Wiedersehen mit Gahmuret in Kauf genommen hatte, und nach all den Toten auf der Insel hatte er beinahe Verständnis dafür, dass sein wochenlanges Leid im Kerker in ihren Augen kaum der Rede wert war. So war sie eben, das war der Kern ihres Charakters – und Faun fragte sich einmal mehr, was Zinder nur an ihr fand.
    Im Augenblick jedoch hielt sich der Söldner von Violante fern, was niemanden überraschte. Die beiden mussten in den letzten Tagen mehr als einmal unter vier Augen miteinander gesprochen haben, und Gott allein mochte wissen, was sie beredet hatten. An Violantes Verhalten jedenfalls hatte es nichts geändert. Sie schien es für das Beste zu halten, ihn die meiste Zeit über zu ignorieren. Und Zinder fügte sich in dieses Schicksal, auch wenn er sich nicht davon abbringen ließ, sie zu begleiten. Faun mutmaßte, dass er es womöglich auch für ihn selbst, für Tiessa und für Saga tat. Doch falls dem wirklich so war, erwähnte Zinder es mit keinem Wort.
    Die Landschaft, durch die sie mit ihrem zwanzigköpfigen Kriegertross ritten, bot sich in eintönigem Grau dar, eine Staubwüste aus Basaltgeröll und Sand, die aus der Ferne wie eine Ebene wirkte, tatsächlich aber aus unzähligen flachen Hügeln und Tälern bestand. Anfangs hatten die Späher den Trupp zu einer lockeren Dreiecksformation auffächern lassen, waren dann aber zu einer Schlangenlinie zurückgekehrt, in der niemals mehr als drei Rösser nebeneinander trabten. Das hatte den Nachteil, dass der Anfang oder das Ende des Zuges meist hinter der Kuppe eines Hügels außer Sicht war; dafür war es in dieser Formation leichter, sich gegen Angreifer zur Wehr zu setzen.
    Und mit Angreifern schienen die Späher jederzeit zu rechnen, zumindest war das der Eindruck, den Faun und die anderen bald bekamen. Doch am Morgen des zweiten Tages ließ sich einer der Männer zurückfallen, bis er zu Faun, Saga und den anderen in der Mitte des Zuges aufgeschlossen hatte.
    Der Name des Johanniters war Wolfram von Dürffenthal. Er war einer der Männer, auf deren Rückkehr Violante, Saga und Karmesin gewartet hatten. Die Aufgabe, erneut hinaus in diesen feindlichen Landstrich zu reiten, hatte er ohne Murren akzeptiert. Obwohl niemand ihn als Befehlshaber ihres Zuges vorgestellt hatte, gab es keinen Zweifel daran, dass die anderen Ritter sich seiner Erfahrung in diesen gespenstisch leeren Landen

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