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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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in die Faun im Vorbeireiten blickte, und er wünschte bald, er hätte gar nicht erst hingesehen. Es mochte ein Abkommen geben, doch die Feindschaft in den Gesichtern der Seldschuken galt nicht allein den Männern, die sich in der Burg verschanzt hatten. Sie galt jedem von ihnen. Faun, Saga, Tiessa – ihnen allen.
    Sie durften ihre Pferde an eine Tränke führen, ihnen selbst wurde Wasser aus Lederschläuchen angeboten. Alle tranken begierig, nur Violante zögerte und rieb lange das Mundstück sauber, ehe sie schließlich einige Schlucke nahm und den Schlauch hastig weiterreichte.
    Dürffenthal verschwand und kehrte erst nach einer Weile zu ihnen zurück. Sie saßen im Sand beieinander, argwöhnisch von den Seldschuken beäugt. Höchste Wachsamkeit herrschte unter den Johannitern, aber alle gaben sich Mühe, niemanden durch unbedachte Bewegungen oder Worte zu provozieren.
    »Gräfin«, wandte sich Dürffenthal mit gesenkter Stimme an Violante, »hört mir jetzt ganz genau zu. Vermutlich spricht niemand hier unsere Sprache, aber ich will vorsichtig sein, und deshalb sage ich dies hier nur einmal. Der Anführer dieses Heeres ist ein Mann namens Nizamalmulk, und er gestattet Euch, hinauf zur Burg zu gehen. Er hofft, dass Ihr Euren Gemahl dazu bewegen werdet, die Festung aufzugeben.«
    Sie gab keine Antwort, hörte nur zu.
    »Ich weiß«, fuhr der Ritter fort, »dass Ihr das nicht tun werdet. Aber bevor Ihr zu ihm geht, sagt mir trotzdem eines: Was genau wollt Ihr tun?« Er sah sie durchdringend an, aber sie wich seinem bohrenden Blick nicht aus. »Warum seid Ihr hergekommen, Gräfin? Gahmuret wird die Festung nicht mit Euch verlassen können. Ich weiß nicht einmal, ob die Seldschuken Euch selbst noch einmal dort hinauslassen, wenn Ihr einmal im Inneren seid.«
    Als Violante noch immer nicht antwortete, sagte Saga leise: »Ihr werdet dort oben sterben.«
    Die Gräfin wandte sehr langsam den Kopf in Sagas Richtung, und dann erschien ein sachtes Lächeln auf ihren staubbedeckten Zügen. »Vielleicht.«
    »Noch könnt Ihr zurück«, sagte der Johanniter. »Wenn Ihr es wünscht, reiten wir in dieser Stunde zurück zum Krak.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ihr könnt das nicht verstehen.«
    Er lachte humorlos. »Ich habe während meiner Jahre in diesem Land genug Menschen freiwillig in den Tod gehen sehen, und, glaubt mir, zuletzt hat es nie eine Rolle gespielt, warum sie es getan haben. Zuletzt, Gräfin, werdet Ihr nur ein Leichnam mehr sein, den die Seldschuken aus diesen Mauern tragen.«
    »Ich habe meine Entscheidung vor langer Zeit getroffen«, antwortete Violante, noch immer von dieser sonderbaren Ruhe erfüllt. »Und nichts, das Ihr sagt, wird daran etwas ändern.«
    »Was wird aus Eurem Sohn?«, fragte Faun. »Für ihn ist gut gesorgt.«
    Faun blickte zu Zinder, aber der Söldner presste nur die Lippen aufeinander und sah Violante schweigend an. Da begriff Faun, dass Zinder sie aufgegeben hatte. Der Söldner war ihm immer wie jemand erschienen, der niemals ein Ziel aus den Augen verlor. Doch während der vergangenen vier Tage war etwas mit ihm geschehen. Hatte es mit Respekt zu tun? Mit Resignation? Faun fand keine Antwort darauf.
    Stumm blickte er zur Festung hinauf, die plötzlich so viel mehr war als ein halb zerstörtes Gemäuer im Nirgendwo. Diese Burg war ein Grabmal, ganz gleich, wie lange Gahmurets Männer sie noch verteidigen konnten. Einige Wochen. Ein paar Monate. Selbst wenn sie dort oben frisches Trinkwasser besaßen, wie weit würden wohl ihre Nahrungsvorräte reichen?
    Die Gräfin erhob sich. »Ich danke Euch allen«, sagte sie, sah von einem zum anderen, dann ein wenig länger zu Zinder, zuletzt zu Saga. »Ich habe dir nie gedankt, für das, was du getan hast, Saga, und es wäre längst an der Zeit dazu gewesen. Auch für eine Entschuldigung.«
    Faun dachte nur, wie absurd dies alles war. Ein Dank. Entschuldigungen. Dabei hatten sie alle nichts mehr zu geben, nichts zu gewähren.
    Saga schüttelte schweigend den Kopf und blickte zu Boden. Faun fragte sich, was in ihr vorging. Bedauerte sie Violante? Himmel, er wusste nicht einmal, ob er sie bedauerte. Hatte er nicht allen Grund, die Gräfin zu hassen? Und doch war etwas an dieser Situation, das ihn beinahe so etwas wie Mitgefühl empfinden ließ. Vielleicht war es die Unausweichlichkeit dessen, was geschehen würde. Die Erkenntnis, dass sich nichts, aber auch gar nichts daran ändern ließ.
    »Kann ich gleich aufbrechen?«, fragte Violante den

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