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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Violante. Sie entstammte dem Geschlecht derer von Lerch. Es war ihre Grafschaft, ihre Burg. Gahmuret war nur Zeuge der Verschwörung gewesen. Und offenbar einer, dessen man sich später hatte entledigen wollen. Dessen sich Violante hatte entledigen wollen.
    »Sie hat es für Philipp getan«, spie Gahmuret aus. »Erzähl deinen Freundinnen von unserem König Philipp. Erzähl ihnen, wie du zu seiner Hure geworden bist!«
    Violante war drauf und dran, auf ihn loszugehen, aber dann besann sie sich. Ihn zu berühren wäre womöglich ihr Todesurteil.
    »Was ist aus Malachias geworden?«, fragte sie leise, ohne auf seine Worte einzugehen. »Er ist nicht hier, oder?« Ihr Tonfall klang, als könne sie sich nicht zwischen leiser Hoffnung und schicksalsschwerer Verzweiflung entscheiden.
    Saga schnappte nach Luft. »Es ging die ganze Zeit immer nur um Euren Sohn? Deshalb wolltet Ihr Gahmuret finden?«
    Der Graf legte den Kopf zurück gegen die Lehne seines Stuhls. Hohn sprach aus seiner Stimme. »Die Frucht ihrer verbotenen Liebe«, spottete er. »Philipps Sohn, nicht meiner. Auch wenn sie mich lange in dem Glauben gelassen hat. Aber als sie mich überreden wollte, mit dem Kreuzzug ins Heilige Land zu ziehen – zum Wohle unseres künftigen Königs Philipp, natürlich –, da habe ich die Wahrheit geahnt. Sie war meiner endgültig überdrüssig geworden.« Seine Lider zuckten in immer kürzeren Abständen, aber sein hasserfüllter Blick war starr auf seine Gemahlin gerichtet. »Du hast gehofft, dass ich nie zurückkehren würde, damit du frei bist für Philipp. Aber hast du wirklich geglaubt, er würde seine Frau verstoßen? Die Tochter des Herrschers von Byzanz? Wegen dir, einer kleinen Landgräfin aus der Provinz? Himmel, er hat mit dir gespielt und dich ausgenutzt. Uns beide hat er ausgenutzt, als er das geheime Treffen auf unserer Burg einberief … auf deiner Burg.«
    »Philipp hat mich geliebt«, behauptete Violante so stur, dass Saga beinahe Mitlied mit ihr empfand.
    Gahmuret krächzte. »Er hatte seinen Spaß mit dir – und er wusste, dass du alles für ihn tun würdest. Sieh dich an. Sogar heute noch, Jahre nach seinem Tod, bist du seinem Gespenst hierher gefolgt.« Er wollte die Hand heben, um abzuwinken, doch die Finger fielen schwer und kraftlos zurück auf die Stuhllehne. »Ich muss dich enttäuschen. Malachias ist nicht hier, schon lange nicht mehr. Und er ist nicht Philipp. Ich habe ihn großgezogen. Er ist immer noch mein Sohn. Ich habe ihn geliebt. Ich war der Einzige, der für ihn da war.«
    »Er ist alles, was mir von Philipp geblieben ist!«
    »Dann ist dir nichts geblieben. Malachias ist seit Jahren nicht mehr hier. Ich habe ihn fortgeschickt, dorthin, wo er in Sicherheit ist und seine Mutter ihn niemals finden wird.«
    Violante stieß ein rasendes Heulen aus und stürmte vorwärts. Mit beiden Fäusten schlug sie nach Gahmurets Gesicht. Er schrie auf, prallte mit dem Hinterkopf gegen Holz und sackte benommen noch tiefer in sich zusammen.
    Als Violante ihre Hände hob, waren sie mit dem Sekret seines verwüsteten Gesichts bedeckt. Das Geschwür war aufgeplatzt. Ihre Handknöchel glänzten vor Nässe. »Wo ist er?«, flüsterte sie.
    Gahmuret stöhnte etwas, gefolgt von einem geräuschvollen Ausatmen.
    Violante starrte sekundenlang auf das Todesurteil an ihren Händen, dann fand ihr Blick zurück zu Gahmuret.
    »Wo ist er?«, fragte sie erneut.
    Karmesin blieb ruhig und beherrscht, selbst jetzt noch. Saga fragte sich, ob dies nun die wahre Karmesin war, jenes Geschöpf das in einem geheimen Palast hinter verschlossenen Toren herangezüchtet worden war, teils Schoßtier, teils Kampfhund. Oder war auch das nur eine weitere Maske? War sie der echten Karmesin überhaupt je begegnet?
    »Du wirst nie erfahren, wo er ist«, keuchte Gahmuret, während Violante sich wie betäubt gegen die Tischkante sinken ließ, halb stehend, halb sitzend. »Das Anrecht, seine Mutter zu sein, hast du schon Vorjahren verspielt.«
    Violante hob langsam das Kinn. »Und das hast du zu entscheiden?«
    Saga sah Karmesin an, dass sie eine Entscheidung traf. »Was hast du vor?«, flüsterte sie.
    Gahmuret hörte sie. »Sie wird ihren Auftrag erfüllen.« Schwerfällig hob er beide Arme auf die Tischplatte. Er drohte vornüberzusinken, hielt sich aber mühevoll aufrecht.
    »Für mich gibt es hier nichts mehr zu tun«, sagte die Konkubine, blickte dabei aber Violante an, nicht den Grafen.
    Und da verstand Saga.
    »Sie auch?«, entfuhr es ihr.

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