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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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behalten; andere verschwanden im Dunkel, um Dürffenthals Order auszuführen.
    Als der Anführer der Johanniter zurückkehrte, hielt Faun es kaum noch aus.
    »Es ist wahr«, sagte Dürffenthal grimmig. »Sie haben die Körper von Leprakranken über die Mauern geschleudert.«
    Faun sah die Umgebung durch einen Schleier, alles schien verzerrt und seltsam flach. Sein Magen rebellierte, und beinahe hätte er sich im Zelt des Ritters übergeben.
    Dürffenthal wechselte Blicke mit den drei Rittern, die ihn begleitet hatten. »Ihr wisst, was das bedeutet. Nizamalmulk wird nicht zulassen, dass irgendjemand diese Festung lebend verlässt.«
    Gahmuret saß zusammengesunken in seinem Stuhl, die Hand noch immer unter dem Gesicht der toten Violante begraben. Ihr Leichnam kauerte auf den Knien an seiner Seite. Der Graf öffnete mehrfach den Mund, um etwas zu sagen, aber kein Laut kam über seine Lippen.
    »Bleib weg von mir!«, fauchte Saga in Karmesins Richtung.
    Die Konkubine stand auf halbem Weg zwischen ihr und dem röchelnden Gahmuret. Saga hatte die Hand bereits nach dem Türknauf ausgestreckt, als Karmesin sagte: »Das würde ich nicht tun.«
    Saga hielt inne. »Womöglich kümmert es mich nicht, was du tun würdest und was nicht.«
    Karmesin schüttelte den Kopf. »Wie kannst ausgerechnet du so wütend darüber sein, dass ich gelogen habe?«
    »Du hast von Anfang an geplant, Violante zu töten! Die ganze Zeit über! Du hast nur gewartet, bis sie dich zu Gahmuret bringt.« Und noch etwas fiel ihr ein. »Und mich hast du benutzt, um in die Burg zu gelangen.«
    Die Konkubine antwortete nicht.
    »Ihr habt keine Chance«, sagte Gahmuret mit brüchiger Stimme. Jetzt erst erkannte Saga, dass er weinte. Ganz gleich, welche Verbrechen er in den Jahren seit dem Fall Konstantinopels begangen hatte – nun jedenfalls saß er da, während um ihn herum seine Welt unterging, und Tränen glitzerten in den Narbenfurchen seines entstellten Gesichts.
    »Wer sollte uns aufhalten? Diese Bande von todkranken Krüppeln da draußen?«, entgegnete Karmesin. »Sag mir, Gahmuret, wie lange ist es her, seit sie dir zuletzt gehorcht haben? All das Morden, die Plünderungen – ist das auf deinen Befehl hin geschehen? Oder ist es nicht eher so, dass sie dich all die Jahre lang als ihren Anführer geduldet haben?«
    Er verzog das Gesicht, als hätte sie ihm bereits ihr Messer zwischen die Rippen gestoßen. »Die Seldschuken werden euch umbringen.«
    »Um die werde ich mir Sorgen machen, wenn wir ihnen gegenüberstehen.«
    Gahmuret hat Recht, dachte Saga erschüttert. Nizamalmulk würde niemals zulassen, dass sie diese Festung verließen.
    »Warum tötest du mich nicht?«, fragte der Graf und hob langsam den Kopf. »Deshalb bist du doch hergekommen.« Er bot ein erbärmliches Bild. Saga hatte Mitleid mit ihm.
    »Du bist schon tot, Gahmuret«, erwiderte Karmesin. »Hätte der Papst davon gewusst, hätte ich mir den Weg hierher sparen können.«
    »Dann bin ich der Letzte, der die Wahrheit bezeugen kann? Über den Untergang Konstantinopels?«
    Karmesin warf Saga einen kurzen, schwer zu deutenden Blick zu, dann nickte sie. »Der letzte der Verschwörer.«
    »Das war niemals meine Verschwörung …«, brachte er hervor, gefolgt von einem trockenen Husten. »Ich habe versucht, Violante davon abzubringen. Sie hat es für Philipp getan.«
    »Spielt das jetzt noch eine Rolle?«
    »Innozenz ist sehr … gründlich.«
    Karmesin zuckte die Achseln. »Er ist der Stellvertreter Gottes.«
    Kummer und Krankheit drückten Gahmuret nieder, verzehrten seinen Lebensmut. In einem zumindest hatte Karmesin die Wahrheit gesagt: Eigentlich war Gahmuret längst tot. Auch er selbst wusste das.
    Karmesin warf ihm einen letzten Blick zu, ehe sie hinüber zu den Trümmern eilte, die unter dem Loch in der Decke zu einem Hügel aufgeworfen waren. Flink kletterte sie hinauf und prüfte mit Tritten einen Balken, der sich inmitten eines Gewirrs aus geborstenem Holz und Gestein zwischen der eingestürzten Decke und dem Schutt verkantet hatte.
    »Du kannst doch klettern?«, fragte sie in Sagas Richtung.
    Saga nickte widerwillig. Sie stand noch immer vor dem Portal. Draußen glaubte sie heisere Stimmen zu hören. Sie war nicht sicher, ob sie sich näherten.
    Gahmuret stieß ein raspelndes Lachen aus, das in einen Hustenanfall überging.
    Die Konkubine zog das Kurzschwert, das Dürffenthal ihr gegeben hatte. »Hier!«, rief sie. Saga machte keinen Versuch, es zu fangen, und sah zu, wie es

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