Herrin der Lüge
Lächeln fest. »Du hast mich für ein bösartiges Miststück gehalten, aber nicht für eine Verrückte, stimmt’s?«
»Möglich, ja.«
»Ah, ein Anflug von Ehrlichkeit!« Violante schlug in gespieltem Entzücken die Hände zusammen. »Ist es nicht eine wunderbare Ironie, dass die beste Lügnerin der Welt ehrlicher zu mir ist als all meine Berater und Lakaien? Himmel, sogar Zinder da draußen gibt sich alle Mühe, zu verbergen, was er tatsächlich von mir hält. Als reiche es nicht, einfach in die Gesichter seiner Männer zu blicken und die Wahrheit in ihren Augen zu lesen!«
Sie ist einsam, dachte Saga verblüfft. Sie fühlt sich allein und sucht eine Verbündete. Aber dabei hat sie doch wohl kaum an mich gedacht?
»Was genau habt Ihr vor?«, fragte sie.
»Ich werde einen Kreuzzug ins Heilige Land führen. Einen Kreuzzug, wie es vorher noch keinen gegeben hat.« Sie holte weit mit beiden Händen aus. »Einen Kreuzzug der Jungfrauen, Saga. Keine Männer. Nur junge, gesunde Frauen, die reinen Herzens und in guter Verfassung sind. Die noch keine Kinder geboren haben. Und die nicht älter sind als zwanzig.«
Saga fand die Vorstellung zu unwirklich, um sie auf Anhieb ernst zu nehmen. Im ersten Moment haftete ihr beinahe etwas Komisches an.
»Lach mich aus, wenn du magst.« Violantes Gleichgültigkeit wirkte aufrichtig. »Das haben schon andere getan. Aber keiner von ihnen hat dich gekannt! Keiner wusste, was du vermagst. Erst habe ich selbst geglaubt, es würde ausreichen, eine Frau wie Gunthild zur Predigerin zu machen – wenn sie von Gott spricht, hat die alte Krähe ein Feuer, das man ihr sonst gar nicht zutraut –, aber dann stieß ich auf dich. Und ich wusste, du bist diejenige, die mir alles ermöglichen wird. Du bist wahrhaftig eine Auserwählte, Saga.«
»Ich verstehe das nicht«, brachte Saga langsam hervor. Sie tat sich schwer damit, auch nur die Hälfte all der Fragen, die sich ihr stellten, im Kopf zu behalten. »Was sollen Frauen … Mädchen im Heiligen Land ausrichten? Etwa Jerusalem befreien? Sollen sie Kriege führen, die bereits von Tausenden und Abertausenden von Rittern verloren worden sind?«
Violante dachte kurz nach, schaute dann aus beiden Fenstern der Kutsche und versicherte sich, dass niemand lauschte. »Anfangs dachte ich tatsächlich, ich würde leichtes Spiel mit dir haben. Ich dachte, ich könnte dich bezahlen, und dafür würdest du tun, was ich von dir verlange. Ohne Fragen, ohne Gewissen. Aber dann habe ich dich zum ersten Mal selbst erlebt, auf einem Markt im Norden. Du magst eine Spielmännin sein, du ziehst den Leuten die Münzen aus der Tasche, und sie fühlen sich sogar noch glücklich dabei – aber du tust das nicht für ihr Geld. Ist es nicht so?«
Violante wechselte die Themen so schnell wie ihre Launen. Saga gab sich Mühe, Schritt zu halten. »Das Geld hat immer mein Vater genommen. Unsere ganze Familie hat davon gelebt.« Und wovon leben sie heute?, überlegte sie. Jetzt, da Faun und ich nicht mehr bei ihnen sind? Sie stellte den Gedanken zurück. »Für mich war es eher … ich weiß nicht. Ich nehme an, so etwas wie eine Herausforderung. Ich habe nie darüber nachgedacht.«
»Natürlich hast du das!«, widersprach Violante. »Viele Nächte lang.«
Saga schwieg.
»War es nicht so?«
»Mir hat nicht gefallen, was mir dabei durch den Kopf gegangen ist.«
Violante lächelte triumphierend. »Dass du es gern tust! Das ist es doch, oder? Es gefällt dir, die Menschen anzulügen. Sie haben es nicht besser verdient! Du erzählst ihnen nur das, was sie hören wollen.«
»Der Lügengeist kann ihren Glauben nur stärker machen, aber nicht völlig neu erschaffen.«
»Und der Glaube ist es, den wir uns zu Nutze machen werden«, sagte Violante hitzig. »Du wirst all diesen Mädchen genau das erzählen, was sie insgeheim immer gewusst haben. Dass sie ihre Ketten zerbrechen müssen. Dass sie zu Höherem bestimmt sind als ihre Mütter, die sich auf den Feldern, im Stall und am Ofen bucklig schuften. Dass sie Auserwählte Gottes sind, reiner im Herzen als andere – ganz sicher reiner als die Männer, die ihnen nachstellen und auflauern und sie zu Müttern kreischender Bälger machen, ohne sie zu fragen, ob sie das überhaupt wollen.«
»Das klingt, als würdet Ihr die Männer hassen. Und doch wollt Ihr alles riskieren, um Euren eigenen zurückzubekommen?«
»Du müsstest ihn kennen, um das zu verstehen.«
»Selbst wenn ich tun könnte, was Ihr verlangt … Wenn ich
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