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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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unterstanden augenscheinlich seinem Befehl. Einer hatte eine Glatze, auf der sich der Mondschein spiegelte. Ein anderer trug eine Augenklappe, sein Bart war sehr schmal und sauber rasiert.
    Der Anführer stieß einen zweiten Falkenschrei aus und blickte erwartungsvoll zu den Baumwipfeln. Jetzt sah Faun, dass der rechte Unterarm des Mannes mit Leder umwickelt war, um ihn vor Vogelkrallen zu schützen.
    Einer der anderen Männer sagte etwas zu dem Falkner. Nur etwa zehn Schritt trennten Faun und Tiessa von den Reitern, aber die Männer unterhielten sich zu leise, um ihre Worte verstehen zu können. Faun überlegte, ob er wagen sollte, noch näher heranzuschleichen. Doch der Anblick der Schwerter und Äxte an den Sätteln hielt ihn davon ab. Ohnehin hätte Tiessa ihn wahrscheinlich an den Haaren zurückgehalten, so erpicht war sie darauf, von hier zu verschwinden.
    Ein drittes Mal stieß der Anführer den Lockruf aus, und wieder bekam er keine Antwort. Zwei der anderen wechselten einen Blick. Der Falkner fluchte, dann gab er den Übrigen einen knappen Befehl. Augenblicklich setzten sich die Pferde in Bewegung. Ihr Hufschlag verhallte in der Stille der nächtlichen Wälder, während sie in südliche Richtung davonsprengten.
    Eine ganze Weile verging, ehe Faun und Tiessa wieder zu sprechen wagten.
    »Sie hätten uns fast entdeckt!« Tiessas Stimme klang gepresst. Sie war außer sich vor Zorn.
    Faun zuckte mit den Schultern. »Die haben nicht nach uns gesucht, sondern nach dem Falken.«
    Sie stieß nur ein wütendes Schnauben aus.
    »Wenn dir nicht passt, was ich tue, dann kannst du ja allein weitergehen«, sagte er gereizt. Er hatte es satt, dass sie ihn behandelte wie einen Dummkopf. Er wusste, was er tat. In der Dunkelheit, im Dickicht, hätten die Männer sie niemals sehen können.
    Nicht die Männer, meldete sich seine innere Stimme zu Wort. Aber ihr Falke.
    Doch darüber wollte er sich jetzt keine Gedanken machen. Der Schreck war ihm tief in die Glieder gefahren, und er hatte nicht die geringste Lust, sich von Tiessa Vorhaltungen machen zu lassen.
    Sie musterte ihn wortlos, fast, als wollte sie ihn und sein Verhalten neu einschätzen und bewerten. Faun wusste nicht, zu welchem Ergebnis sie gekommen war, denn plötzlich verschwand jegliche Emotion aus ihrer Miene – als könnte sie ihre Gefühle mit purer Willenskraft aus ihren Zügen entfernen.
    Sie ließ ihn stehen. Ohne ihn zu beachten, drehte sie sich um und ging mit ruhigen Schritten auf die Straße. Aus dem Bündel ragte die alte Puppe hervor. Plötzlich kam ihm das nicht mehr kindisch und albern vor, sondern ungeheuer fremd. Wie Tiessa selbst.
    Zehn, elf Schritte weit ließ er sie gehen. »Tiessa«, rief er. »Warte.«
    Erst zeigte sie keine Reaktion. Doch dann blieb sie mit einem tiefen Durchatmen stehen, kam ein paar Schritte zurück und machte vor ihm Halt.
    Ihre Miene war jetzt düster, eine einzige Anklage.
    »Was ist?«, fragte er, als sie ihn schweigend anstarrte.
    »Versprich mir etwas.«
    Etwas in ihrem Tonfall ließ ihn die heftige Erwiderung verschlucken, die ihm eigentlich auf der Zunge lag. Es war ihr ernst. Sie hatte wirklich gehen wollen.
    »Versprich mir, dass du auf mich hörst, wenn ich dir sage, dass es gefährlich wird.« Sie zögerte und setzte dann hinzu: »Ich muss entscheiden, ob du ein zu großes Risiko für mich bist, Faun. Ob ich dir trauen kann. Und ich muss diese Entscheidung jetzt treffen. Mach es mir nicht zu schwer.«
    Sie sahen sich im Dunkeln über die Distanz hinweg an, kaum in der Lage, die Züge des anderen auszumachen. Er spürte, wie aufgeregt sie war.
    »Du weißt, wer die Männer waren, oder?«, fragte er gepresst.
    »Ritter.«
    »Warum suchen sie nach dir?«
    Sie kam jetzt langsam zurück, blieb aber auf halber Strecke stehen, noch immer drei Schritt entfernt. Er glaubte schon, sie würde ihm keine Antwort geben, als sie plötzlich die Hand auf den Geldbeutel an ihrem Gürtel fallen ließ. »Deswegen.«
    Er hatte alles Mögliche erwartet, aber nicht das. »Du hast das Gold gestohlen? Von ihnen?«
    Sie nickte.
    »Ist das wahr?«
    Noch ein Nicken.
    »Liebe Güte! Hättest du dir nicht jemanden aussuchen können, der kein Schwert trägt?«
    »Den Sohn einer Gräfin?«
    Er spürte ein Grinsen in sich aufflackern, war aber nicht sicher, ob dies der richtige Augenblick dafür war.
    Gerade wollte er zu einer Erwiderung ansetzen, als sie mit ein paar schnellen Sätzen herankam. Sie war jetzt so nahe, dass er ihren Atem spüren

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