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Herrin der Lüge

Herrin der Lüge

Titel: Herrin der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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weiß, wie viele es noch werden.«
    »Und für dich?«
    Er schüttelte den Kopf. »Der Teufel ist nichts für einen Mann wie mich. Genauso wenig wie Gott.«
    Er schob die Plane beiseite und ging.

Zweites Buch
     
    D ER B ÖSE W EG
     
    »D IE S ELBSTTÄUSCHUNG BEHERRSCHT DER M ENSCH NOCH SICHERER ALS DIE L ÜGE .«
      

Verfolger
     
    Faun und Tiessa wanderten durch mädchenlose Landstriche. »Hast du den Falken gesehen?«
    Sie fuhr zusammen. Seine Stimme hatte sie aus tiefen Gedanken gerissen. Erschrocken folgte sie seinem Blick zum Himmel. »Welcher Falke?«
    »Der kleine Punkt über dem Hügel? Schau an meinem Arm entlang!«
    Er zeigte in die Richtung, in der das Tier gerade mit der Landschaft verschmolz.
    »Was ist so Besonderes an einem Falken?«
    »Ich hab ihn schon ein paar Mal beobachtet. Jedenfalls denke ich, dass es derselbe war.« Er zuckte die Schultern. »Vielleicht bilde ich’s mir auch nur ein.«
    »Glaubst du, er verfolgt uns?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Faun richtete seinen Blick wieder auf den Pfad. Nachdem sie die Grafschaft Lerch hinter sich gelassen hatten, war er weitaus ruhiger geworden. Er konnte sich nicht vorstellen, dass die verbliebenen Mannschaften der Burgwache sich immer noch die Mühe machten, ihn zu verfolgen.
    Aber dennoch – restlos sicher fühlte er sich nicht.
    Der Weg wand sich über eine offene Hügelkuppe, um dahinter wieder in tiefem Waldland zu verschwinden. Heidekraut und Grasinseln bedeckten den Boden beidseits des Pfades.
    »Wie wichtig bist du für diese Leute?«, fragte sie.
    »Abgesehen davon, dass dieses kleine Ungeheuer einen Narren an mir gefressen hat?« Er spie im Gehen vor die Füße. »Gott, ich hasse adelige Kinder! Verzogene Bastarde, allesamt.«
    Sie musterte ihn amüsiert, und dabei schien sie wieder auf ihn herabzublicken. Das tat sie oft, und es brachte ihn zur Weißglut.
    Um sich abzulenken, kniff er die Augen zusammen und versuchte, den Falken noch einmal in der Ferne zu erspähen. Aber der Vogel war längst Teil der Umgebung geworden.
    Tiessa und er waren jetzt seit rund zwei Wochen gemeinsam unterwegs, und noch immer wusste er fast nichts über seine neue Weggefährtin. Sie schien erpicht darauf, der Magdalena so schnell wie möglich zu folgen, und es war offensichtlich, dass sie sich ausrechnete, mit Faun an ihrer Seite sicherer voranzukommen, ohne sich unangenehmen Fragen auszusetzen. Warum sonst hätte sie ihr Geld mit ihm teilen sollen?
    Faun hatte nichts dagegen, so rasch wie möglich in Richtung Süden zu reisen. Und doch wäre ihm wohler gewesen, wenn er mehr über Tiessa gewusst hätte und über ihren seltsamen Wunsch, sich einer neuen Heiligen anzuschließen.
    Schon nach wenigen Tagen war es ihm unmöglich erschienen, jemals nicht von der Magdalena gehört zu haben. Alle sprachen über sie. In jedem Dorf, das sie passierten, in jedem Gasthof, in dem sie für eine karge Mahlzeit einkehrten.
    Ein paar behaupteten, sie hätten die Magdalena gesehen, aber jeder gab eine andere Beschreibung. Ein jüdischer Kaufmann sprach von einer Frau mittleren Alters, größer als jede andere, die ihm je unter die Augen gekommen sei. Ein Wandermönch beschrieb sie als goldgelockten Engel, nicht älter als fünf oder sechs, der mit der Stimme einer alten Frau spräche. Und ein Wirt, der lauthals damit warb, sie habe unter seinem Dach eine Nacht verbracht und das Haus gesegnet, mochte sich auf gar kein Äußeres festlegen; vielmehr habe sie am Abend ganz anders ausgesehen als am nächsten Morgen, und nur an ihrem Heiligenschein hätte er sie wiedererkannt.
    Das Sonderbare an all diesen Berichten war, dass noch keiner die Magdalena hatte predigen hören. Falls sie tatsächlich zu den Leuten sprach und junge Frauen für ihren Kreuzzug rekrutierte, dann tat sie es anderswo, nicht hier. Dennoch geisterten allerorts Geschichten von verschwundenen Töchtern umher, Mädchen wie Tiessa, die von der Magdalena gehört und sich heimlich auf die Suche nach ihr gemacht hatten. Glaubte man den Gerüchten, so war es nicht länger nur ein einzelner Zug, der sich Richtung Süden bewegte – nämlich jener, den die Magdalena selbst anführte –, sondern bereits mehrere, deren gemeinsames Ziel Mailand war. Dort wollten sich die Frauen zusammenschließen, um vereinigt ins Heilige Land zu reisen.
    Seit Faun von dem Ziel der Kreuzfahrerinnen wusste, dachte er immer häufiger daran, dass sich Gräfin Violante der Magdalena angeschlossen haben könnte. Falls sie tatsächlich nach

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