Herrin Der Stürme - 2
sie zornig oder verwirrt ist, sieht sie kein Zeitmuster mehr deutlich; dann gibt es für sie nichts außer dem Augenblick der Wut, des Zorns oder der Angst… Sie kann ihn nicht als einen einzigen aus einer Abfolge von Momenten sehen. Du hast von einem Fieber gesprochen, das sie als Kind hatte, als tagelang Stürme um die Burg tobten, und dich gefragt, welche Träume oder welches Delirium sie hervorrief. Vielleicht hat ihr Gehirn einen Schaden erlitten. Fieberanfälle beeinträchtigen das Laran häufig.« Einen Augenblick grübelte sie, während sie das unaufhaltsame Dahintreiben der Sturmwolken beobachtete, die jetzt einen beträchtlichen Teil des Talbodens verbargen.
Dorilys kam zu ihnen hinüber und schlang ihre Arme um Renata, wie ein zärtliches Kätzchen, das auf einen Schoß zu klettern versucht. »Sprecht ihr über mich? Schau dort hinunter, Renata! Siehst du das Blitzen in der Wolke?«
Renata nickte, da sie wußte, daß der Sturm gerade dabei war, genug elektrische Energie aufzubauen, um Entladungen hervorzurufen; sie selbst hatte allerdings noch keinen Blitz gesehen.
»Und es sind sogar Blitze in der Luft, wenn weder Wolken noch Regen da sind«, sagte Dorilys. »Kannst du sie nicht sehen, Renata? Wenn ich sie steuere, dann bringe ich sie nicht, sondern benutze sie einfach.« Sie wirkte scheu und schuldbewußt, als sie fortfuhr: »Als ich Margali die Kopfschmerzen bereitete und das gleiche mit dir versuchte, habe ich Blitze benutzt, die ich nicht sehen konnte.«
Gnädige Götter, dachte Renata, dieses Kind versucht, ohne die Worte dafür zu kennen, mir zu erzählen, daß es das elektrische Energiefeld des Planeten anzapft! Donal und Allart, die den Gedanken erfaßten, warfen ihr erschreckte Blicke zu, die Renata, die plötzlich schauderte, nicht sah. »Ist dir kalt, Cousine?« fragte das Kind besorgt. »Es ist so warm …« Allen Göttern zugleich sei gedankt, daß sie wenigstens keine Gedanken lesen kann …
Kyril war zum Fenster gekommen. Er blickte mit konzentrierter Aufmerksamkeit in die geronnene graue Masse des Sturmzentrums, in dem sich gerade die ersten Blitze zeigten. »Ihr habt nach meiner Arbeit gefragt, kleine Lady. Das hier ist ein Teil davon: zu beobachten, wohin sich das Sturmzentrum bewegt und festzustellen , ob es sich irgendwo entlädt. Viele Feuer werden durch Blitzschlag gelegt, obwohl man manchmal lange Zeit danach keinerlei Rauch sehen kann.« Mit einem scheuen Blick auf die Edelmänner und Renata fügte er hinzu: »Ich glaube, daß mir vielleicht ein unbekannter Vorfahr ein bißchen Voraussicht mitgegeben hat, denn manchmal, wenn ich einen großen Blitzschlag sehe, weiß ich, daß es später auflodern wird. Und dann beobachte ich die Stelle einige Stunden mit besonderer Sorgfalt.«
Renata sagte: »Ich würde gerne über Eure Vorfahren Erkundigungen einziehen, um herauszufinden, wie diese Spur von Laran in Euer Blut kam.«
»Oh, das weiß ich«, sagte Kyril fast schuldbewußt. »Meine Mutter war eine Nedestro des Bruders des alten Lord Rockraven – nicht von dem, der jetzt regiert, sondern dem vor ihm.«
Wie kann ich dann sagen, daß es irgendeine Laran-Gabe gibt, die schlecht und ohne möglichen Nutzen zum Guten ist? dachte Renata. Kyril hatte seine ererbte Gabe zu einem nützlichen, erprobten und unschädlichen Beruf gemacht.
Donal hing seinen eigenen Gedanken nach.
»Wenn das so ist, Kyril – dann sind wir ja miteinander verwandt.« »Tatsächlich, Master Donal, aber ich habe mich nie bemüht, die Rockravens das wissen zu lassen. Mit Verlaub, sie sind ein stolzes Volk, und meine Mutter war zu anspruchslos für sie. Und ich habe kein Bedürfnis nach irgend etwas, das sie mir geben könnten.«
Dorilys ließ ihre Hand vertrauensvoll in Kyrils gleiten. »Dann sind wir ja auch verwandt«, sagte sie. Er lächelte und tätschelte ihre Wange. »Du bist wie deine Mutter, Kleines. Sie hatte deine Augen. Wenn die Götter wollen, hast du ihre liebliche Stimme geerbt, so wie du jetzt schon ihre freundlichen Umgangsformen hast.«
Renata dachte: Sie bezaubert jeden, wenn sie nicht gerade hochnäsig oder störrisch ist! Auch Aliciane muß diese Liebenswürdigkeit besessen haben.
»Komm her, Dorilys«, sagte sie. »Sieh dir den Sturm an. Kannst du sehen, wohin er gehen wird?«
»Ja, natürlich.« Dorilys’ Augen wurden schmal. Sie verzog ihr Gesicht. Allart sandte Renata einen Blick zu, der beinhaltete, ob er ihre Schülerin befragen dürfe.
»Seine Bahn ist also festgelegt und kann überhaupt
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