Herrin Der Stürme - 2
wenn die Götter es wollen, die Wahrheit über diese schreckliche Angelegenheit.« Die Gäste waren verabschiedet und auf ihre Zimmer oder zu den Pferden gebracht worden. Über den Höhen von Schloß Aldaran zeigte die blutige, rote Sonne durch schwere Wolken die ersten Anzeichen ihres Gesichts. Man hatte Darrens Körper in die Burgkapelle gebracht, und obwohl sie nicht miteinander befreundet gewesen waren, hatte Donal ein Gefühl des Bedauerns nicht unterdrücken können, als er den jungen Mann starr und erstaunt, mit unordentlicher Kleidung, den Kopf in einem Krampf von Schmerz und Entsetzen zurückgeworfen, dort liegen sah. Er hat ein unwürdiges Ende gehabt, war sein erster Gedanke gewesen. Es drängte ihn, die Kleidung des jungen Manns in Ordnung zu bringen; doch dann wurde ihm klar, daß dies alle Spuren von Dorilys einziger Verteidigung beseitigen würde.
Blutschuld auf einem so jungen Kind, hatte er schaudernd gedacht, war von dem Leichnam zurückgetreten und in Lord Aldarans Empfangszimmer gegangen.
Margali war aus dem tiefen Schlaf geweckt worden, der sie übermannt hatte, als ihre Schmerzen aufhörten. Mit einem dicken Schal über dem Nachtkleid saß sie da, während Dorilys in ihren Armen schluchzte. Das Mädchen sah jetzt wie ein erschöpftes Kind aus, ihr Gesicht vom langen Weinen fleckig, ihr Haar in strähnigen Locken herabfallend, die geschwollenen Augenlider schläfrig über die Augen gesenkt. Einmal hatte sie beinahe aufgehört, aber immer wieder schüttelte ein neues, krampfhaftes Schluchzen ihre schmalen Schultern. Ungeachtet der Tatsache, daß ihre Beine den Boden berührten, wirkte sie auf Margalis Schoß wie ein kleines Kind. Ihr kunstvolles Kleid war beschmutzt und zerknittert.
Über den Kopf des Kindes hinweg sah Margali Lord Mikhail von Aldaran an und sagte: »Ihr wollt also den Wahrzauber, mein Fürst? Gut, aber laßt mich wenigstens die Zofe rufen und das Kind zu Bett bringen. Sie ist die ganze Nacht wach gewesen, und Ihr könnt sehen –« Mit einer Kopfbewegung wies sie auf die aufgelöst weinende Dorilys, die sich an sie klammerte.
»Es tut mir leid, Mestra, aber Dorilys muß bleiben«, sagte Aldaran. »Wir müssen, fürchte ich, auch hören, was sie zu sagen hat, und zwar unter Wahrzauber … Dorilys« – seine Stimme war sanft – »laß deine Pflegemutter los, mein Kind, und setz dich neben Donal. Niemand wird dir weh tun. Wir wollen nur wissen, was geschehen ist.«
Widerstrebend löste Dorilys ihren Griff von Margalis Hals. Sie war steif, von Entsetzen gepackt. Donal mußte an ein kleines Kaninchen denken, das vor einem Raubtierrudel in den Bergen saß. Sie setzte sich auf die niedrige Bank neben ihn. Er streckte seine Hand nach ihr aus, und ihre kleinen Finger ergriffen sie und packten sie mit schmerzendem Druck. Sie wischte ihr verschmiertes Gesicht mit dem Ärmel ihres Gewandes ab.
Margali nahm die Matrix aus dem um ihren Hals hängenden seidenen Beutel, blickte einen Augenblick in den blauen Edelstein, und dann war ihre leise, klare Stimme in der Stille des Empfangszimmers deutlich zu hören – obwohl sie beinahe flüsterte.
»Im Licht des Feuers dieses Edelsteins, laß die Wahrheit den Raum, in dem wir stehen, erhellen.«
Donal, der die Anwendung des Wahrzaubers viele Male gesehen hatte, war mit Ehrfurcht erfüllt. Der kleine Edelstein begann zu glühen. Das Licht überschwemmte langsam das Gesicht der Leronis, kroch in den Raum hinein und stahl sich nach und nach auf jedes Gesicht. Donal spürte, wie der Schimmer auch ihn erfaßte, sah ihn auf dem fleckigen Gesicht des neben ihm sitzenden Kindes, auf den Zügen Rakhal Scathfells, und denen des Friedensmannes, der bewegungslos hinter ihm stand.
In dem blauen Licht sah Mikhail von Aldaran mehr denn je wie ein alter, bewegungslos auf seinem Klotz hockender Raubvogel aus. Als er den Kopf hob, waren die Kraft und die Bedrohung wieder da, still, aber vorhanden.
Margali sagte: »Es ist getan, mein Fürst. Allein die Wahrheit möge hier gesprochen werden, solange dieses Licht andauert.«
Donal wußte: Wenn unter dem Wahrzauber die Unwahrheit gesprochen wurde, verschwand das Licht vom Gesicht des Sprechers und zeigte sofort an, daß er log.
»Jetzt«, sagte Mikhail von Aldaran, »mußt du uns sagen, was du weißt, Dorilys. Wie ist Darren zu Tode gekommen?«
Dorilys hob den Kopf. Sie sah bedauernswert aus. Erneut wischte sie ihre Nase an den kunstvollen Ärmeln ihres Gewandes ab. Sie klammerte sich so fest an Donals Hand, daß er ihr
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